BIO
Irena Dousková wurde 1964 in Příbram in eine Schauspielfamilie geboren. Seit 1976 lebt sie in Prag, wo sie zuerst das Gymnasium und zuletzt die juristische Fakultät der Karls-Universität absolvierte. Den Rechtsberuf übte sie jedoch nie aus. Sie arbeitete in verschiedenen Anstellungen, die meist in irgendeiner Weise mit journalistischer Tätigkeit zu tun hatten. Seit einigen Jahren ist sie freischaffende Schriftstellerin. Ihre Bücher wurden in 13 Sprachen übersetzt, z.B. ins Deutsche, Englische, Polnische, Ungarische, Bulgarische, Slowenische, Russische, Weißrussische, Bosnische, Ukrainische, Serbokroatische und Türkische.

BIBLIOGRAFIE:
Das Prager Wunder (gemeinsam mit anderen Autoren, 1992)
Goldstein schreibt seiner Tochter (1997, 2006)
Der tapfere Bella Tschau (1998, 2002 – deutsche Übersetzung 2006)
Einer mit dem Messer (2000)
Doktor Kott grübelt nach (2002)
Warum ist diese Nacht so anders? (2004)
Onegin war Russe (2006)
Von weißen Elefanten (2008)
Ohne Käppchen (2009)
Schlag (2011)
Bärentanz (2014)
Halb in der Luft (2016)
Kleine Särge (2018)

DRAMATISIERUNGEN:
Der tapfere Bella Tschau (2003)
Onegin war Russe (2008)
Schlag (2012)

BÜCHER
Rakvičky / Kleine Särge
Gleich zu Beginn dieses witzigen, aber auch berührenden „Perestrojka-Roadmovies“ definiert die zwanzigjährige Rosa ganz klar ihren schicksalshaften Plan: sie muss „den Ostrauer finden und ihm gestehen, dass sie ihn liebt.“ In diesem Moment ahnt sie noch nicht, was für eine schwere Aufgabe das wird…
Die Novelle über eine kurze Ferienreise ist nicht nur eine Geschichte über die vier Protagonisten. Sie ist auch ein originelles Spiegelbild der Zeit, die scheinbar ebenso unbeweglich ist wie der Spiegel tschechischer Fischteiche.

  • Der Titel „Rakvičky“ bedeutet im Tschechischen nicht nur „Kleine Särge“ sondern bezeichnet auch eine typische tschechische Süßspeise, deren Form an einen Sarg erinnert.

Erscheinungsjahr: 2018
Verantwortlicher Lektor: Milan Ohnisko
Umschlaggestaltung und Grafik: Karolína Kotrbová
Taschenbuch mit Schutzumschlag
Format: 13×19 cm
160 Seiten
ISBN: 978–80–7227–404–8

Napůl ve vzduchu / Halb in der Luft
Der zweite eigenständige Gedichtband von Irena Dousková ist kraftvoll. Wodurch? Durch seine kondensierte Melancholie, seine lapidare Bildhaftigkeit, durch die sprachlich aufregende Suche in den Ritzen des persönlichen und kollektiven Gedächtnisses und das genau dosierte Verhältnis von rationalem und intuitivem Schreiben: „Von allen Seiten zieht es / Er ging auf ein Bier / Die Hunde bellen / Die alte Jungfrau geht weiter“
Milan Ohnisko
Erscheinungsjahr: 2016
Taschenbuch
Preis: 179 Kč
Format: 12×18 cm
Illustrationen: Karolína Kotrba
Grafik: Bedřich Vémola
56 Seiten
ISBN: 978–80–807227–376–8

Medvědí tanec / Bärentanz
Diese Prosa gehört zur subtileren nichtautobiograp­hischen Linie im Schaffen der Autorin. Bewundernswert ist schon das Sujet selbst: die letzten Monate des kranken Jaroslav Hašek im Dorf Lipnice. Bärentanz ist jedoch nicht nur eine Geschichte, sondern auch ein reichhaltig strukturiertes Porträt der damaligen Zeit.
Wir schreiben das Jahr 1922 und finden uns auf dem Land wieder, in einer Welt, wohin sich Hašek zurückzog, um sein Lebenswerk zu schreiben. Švejk wird zwar ein paar Mal erwähnt, doch das ist auch schon alles. Dousková hat keinen biografischen Roman über einen Schriftsteller geschrieben, der erst nach seinem Tod Weltruhm erlangte. Weit mehr interessiert sie die existentielle Situation, das Verlöschen der Kräfte eines Mannes, der sich sein Leben Lang heldenhaft amüsierte, der provozierte und noch dazu mit Witz darüber erzählen und schreiben konnte.
In Lipnice schleppt sich der bereits berühmte Fußgänger mit seinen angeschwollenen Beinen gerade noch ins Gasthaus. Immer noch steckt in ihm der frühere Skandalautor, jedoch ist die Dorfgemeinschaft von Lipnice schon sein letzten Gegner.
Die starke Seite des Romans macht die bedrückende Atmosphäre des bevorstehenden Endes aus: draußen gießt es wie aus Eimern, der heulende Kamin vertreibt erfolglos die eindringende herbstliche Kälte. Hašek schreibt immer noch Verse für seine Freunde, ein Skandalstück für einheimische Amateurschauspi­eler, doch in der Mitte der traumlosen Nacht trägt sein Gesicht den Ausdruck eines erschrockenen Kindes, wie seine Frau Šura bemerkt, die sich um den sterbenden Alkoholiker kümmert…
Richard Erml
Erscheinungsjahr: 2014
Hardcover mit Umschlag
Preis: 299 Kč
Format: 13×18 cm
Grafik: Bedřich Vémola
Foto: Igor Malijevský
296 Seiten
ISBN: 978–80–7227–346–1

Darda / Schlag
Nach den Bestsellern Der tapfere Bella Tschau (der auch als Theaterstück mit der ausgezeichneten Barbora Hrzáková in der Hauptrolle Berühmtheit erlangte) und Onegin war Russe (als Theaterstück in der Regie von Jana Borna) schließt Schlag die Romantrilogie ab.
Die Zeit hat den eisernen Vorhang heruntergerissen, und so ist aus der Schülerin und in der Realität des Husák-Regimes aufgewachsenen Gymnasiastin eine verheiratete Frau und Mutter von zwei Kindern geworden. Obwohl sich die Kulissen der Zeit gewandelt haben, sieht es merkwürdigerweise nicht danach aus, dass die Welt eine bessere geworden ist. An die Stelle der Krise der Normalisierung ist nun die Midlife-Crisis getreten. Und wenn schon Krise, dann eine richtige: so folgt ein Schicksalsschlag nach dem anderen.
Diese tragikomische Geschichte spielt diesmal in unserer Zeit. Auch diesem Roman fehlt es nicht an der vermeintlichen Leichtigkeit des Erzählstils, an Wortwitz und Situationskomik. Nichtsdestotrotz gilt in diesem Fall mehr als woanders, dass einem beim Lesen das Lachen im Hals stecken bleibt.
Erscheinungsjahr: 2011
Illustration: Lucie Lomová
200 Seiten
ISBN: 978–80–7227–314–0

Bez Karkulky / Ohne Käppchen
Dem Vers Ich würde nicht die dreizehnte Kammer betreten zum Trotz, scheint es, dass Irena Dousková gerade in dieser Kammer ihren Gedichtband Ohne Käppchen geschrieben hat. Obgleich es den Gedichten nicht an Witz und Leichtigkeit fehlt, beben sie vor permanenter Enge einer gewissermaßen grausamen Welt, in die wir ungefragt geworfen und aus der wir zu guter Letzt wieder ausgeworfen werden – Gott allein weiß wohl, wohin. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Enge, die sich selbst im Blick hat, sondern auch um eine mitfühlende: Immer wieder kehre ich zum Nullpunkt zurück / Der Nullpunkt / ist minus sechs Millionen.
Dousková ist jedoch eine Lyrikerin der Hoffnung: Wenngleich oftmals alles verloren scheint, wenn nicht gar verdammt, so hör ich nicht zu beten auf .
Milan Ohnisko
Erscheinungsjahr: 2009
Illustrationen: Lucie Lomová unter Verwendung von Bildern eines unbekannten Künstlers
Grafik: Bedřich Vémola
ISBN: 978–80–7227–287–7

O bílých slonech / Von weißen Elefanten
Prosa in feiner balladesker Stimmung, die gleichsam ein Gefühl flimmernder Luft über erhitztem Asphalt hervorruft. Die Handlung spielt in den 1970er Jahren in einer Gemeinde in der Nähe der Kleinstadt Beroun.
Innerhalb einer Woche erfüllt sich in kürzeren, miteinander verbundenen Teilen der bekannte Abzählreim Glück, Unglück, Liebe, Ehe, Jungfrau, Wiege, Gräfin, Tod.
die Rezension
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Lucie Lomová.
Erscheinungsjahr: 2008
Grafik: Lucie Lomová, Bedřich Vémola (Satz)
ISBN 978–80–7227–276–1

Goldstein píše dceři / Goldstein schreibt seiner Tochter
Neue Ausgabe im Verlag Petrov mit Umschlaggestaltung und Illustrationen von Lucie Lomová.
Erscheinungsjahr: 2006
166 Seiten
Grafik: Lucie Lomová und Bedřich Vémola
ISBN 80–7227–253–5
Oněgin byl Rusák / Onegin war Russe
Das Buch knüpft lose an den Roman Der tapfere Bella Tschau an. Wieder treffen wir auf die Heldin Helena Součková, jetzt bereits Schülerin der letzten Klasse eines Gymnasiums. Ein Buch, das ähnlich wie Der tapfere Bella Tschau die seltsam aschfarbige Zeit der Normalisierung unter dem Husák-Regime einfängt. Einerseits ist es eine autobiographisch gefärbte persönliche Geschichte, andererseits ein tragikomisches Mosaik der Zeit, die auch aus der zeitlichen Distanz nichts von ihrer Ungeheuerlichkeit verloren hat. Das missgestaltete, morsche Absurdistan der ČSSR tritt hier (eher nebenbei, dadurch jedoch umso überzeugender) in all seiner Armseligkeit und Nacktheit auf.
Erscheinungsjahr: 2006
260 Seiten
Umschlaggestaltung: Lucie Lomová
Grafik: Bedřich Vémola
ISBN 80–7227–244–6

Čím se liší tato noc / Warum ist diese Nach so anders?
Der Erzählband Warum ist diese Nach so anders? besteht aus neun balladesk gefärbten Geschichten. Obwohl diese sich innerhalb einer ungewöhnlich langen Zeitspanne abspielen – vom Anbruch unserer Zeitrechnung bis in die 1970er Jahre – sind sie konsequent zu einem einzigen Ganzen zusammengefügt. Der Umschlag wurde von Lucie Lomová gestaltet.
Was den Schlussstein des Gewölbes dieser Komposition von Erzählungen darstellt, verrät das Eingangszitat aus Julius Zeyers Roman Jan Maria Plojhar: „Ich kenne sie: sie ist nicht böse, doch Menschen von durchschnittlicher Güte können äußerst hart sein.“
Erscheinungsjahr: 2004
108 Seiten
ISBN 80–7227–188–1

Hrdý Budžes / Der tapfere Bella Tschau
Zweite Ausgabe, diesmal bereits im Verlag Petrov erschienen, mit Umschlaggestaltung von Lucie Lomová. Im selben Jahr wurde das Buch dramatisiert und im Theater Příbram mit Barbora Hrzánová in der Hauptrolle uraufgeführt.
Erscheinungsjahr: 2002
168 Seiten
2. Auflage (1. Auflage im Verlag Petrov)
ISBN 80–7227–132–6

Doktor Kott přemítá / Doktor Kott grübelt nach
Der Erzählband über die Unvollkommenheit zwischenmenschlicher Beziehungen setzt sich aus zwölf eigenständigen Texten zusammen und erinnert auf diese Weise an eine Art Jahreskalender vor allem zum Thema Partnerschaft, Ehe und Familie. Douskovás erstes Buch, das vom Verlag Petrov herausgegeben wurde.
Umschlagillus­tration: Ivana Lomová
Erscheinungsjahr: 2002
174 Seiten
ISBN 80–7227–122–9

Někdo s nožem / Einer mit dem Messer
Die Geschichte einer jungen Frau, die in einer nach außen hin intakten Ehe eine tiefe Krise durchlebt. Ihr Leben beschreibt sie in Tagebucheinträgen, die den Aufzeichnungen eines Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel nicht unähnlich sind.
Hynek, 2000
ISBN: 80–86202–71–2

Hrdý Budžes / Der tapfere Bella Tschau
Durch die ersten Jahre der Normalisierung unter dem Husák-Regime, wie sie sich in einer Reihe komischer sowie weniger lustiger Begebenheiten und Situationen auf das Leben von Kindern und Erwachsenen in einer Bezirksstadt auswirkt, führt uns die Schülerin der zweiten Klasse der Grundschule von Ničín Helena Součková.
Erstausgabe des Verlags Hynek. Die zweite Herausgabe des Buches erfolgte durch den Verlag Petrov in Zusammenhang mit seiner Dramatisierung für das Theater Příbram.
Hynek, 1998
ISBN: 80–86202–07–0

Goldstein píše dceři / Goldstein schreibt seiner Tochter
Die subtile Geschichte einer väterlichen Liebe und Selbstliebe, die Ende der 1980er, Anfang der 1990er spielt, ist Douskovás Prosadebüt. In Briefen, die ein alternder Filmregisseur aus Israel seiner erwachsenen Tochter nach Prag schickt, werden schrittweise die entscheidenden Wendepunkte seines Lebens in Tschechien wie in seiner neuen Heimat und die Widersprüchlichkeit einer verspätet aufgenommenen, unerfüllten Beziehung freigelegt.
Die zweite Herausgabe erfolgte im Jahr 2006 durch den Verlag Petrov.
Melantrich, 1997
ISBN: 80–7023–254–4

Pražský zázrak / Das Prager Wunder
Gedichtband, herausgegeben gemeinsam mit L. Lomová, J. Reinisch und P. Ulrych.
Verlag Pražská imaginace, März 1992
ISBN 80–7110–066–8
Illustrationen: Lucie Lomová

ERZÄHLBÄNDE UNTERSCHIEDLICHER AUTOREN
An folgenden Erzählbänden verschiedener Autoren – erschienen im Verlag Listen – war Irena Dousková beteiligt:

Šťastné a veselé 2 / Glücklich und fröhlich 2
Fortsetzung eines Erzählbandes zum Thema Weihnachten (Autoren: Halina Pawlovská, Petr Šabach, Irena Obermannová, Jaroslav Rudiš, Irena Dousková, Ivan Kraus, Pavel Brycz, Jiří Hájíček, Daniela Fischerová und Věra Nosková).
Ženy vidí za roh / Frauen sehen um die Ecke
Erzählungen über Beziehungen, Gefühle, Probleme und Träume von Frauen, von denen jedoch nicht alle, wie man so sagt, um die Ecke sehen. Sie wehren sich gegen Ehe- und Partnerschaftsste­reotype, versuchen diese mit etwas Neuem zu beleben, suchen – manchmal vergeblich – ihren Weg zum Glück (Autoren: Ivan Klíma, Daniela Fischerová, Věra Nosková, Irena Dousková, Irena Obermannová, Hana Andronikova, Halina Pawlowská).

Povídky o ženách / Erzählungen über Frauen
Erzählungen, deren Helden vor allem Frauen sind und deren Thema Liebe und andere zwischenmenschliche Beziehungen ist (Autoren: Pawlovská, Viewegh, Šabach, Dousková, Kantůrková, Pekárková, Fischerová, Nosková, Hauserová, Walló, Koubská).

Možná mi porozumíš / Vielleicht verstehst du mich
Eine Sammlung von Erzählungen tschechischer Autoren zum Thema Konflikte und – auf der anderen Seite – Verständigung zwischen Helden verschiedener Generationen (Autoren: Petr Šabach, Michal Viewegh, Ivan Klíma, Viola Fischerová, Miloš Urban, Irena Dousková, Marta Gärtnerová, Zdeněk Jizera Vonásek, Eda Kriesová, Ivan Binar und Iva Pekárková).

Dámská jízda / Damenfahrt
Das Zusammensein und die gemeinsamen Erlebnisse von Frauen in unterschiedlicher Gestalt ist das Thema eines weiteren Bandes der Edition Die tschechische Erzählung (Autorinnen: Petra Soukupová, Irena Dousková, Hana Lasicová, Irena Hejdová, Eva Hauserová, Bianca Bellová, Dora Čechová und Markéta Pilátová).
Nakladatelství Listen
Erscheinungsjahr: 2015, 2008, 2009, 2007, 2004
ISBN: 978–80–86526–89–8, 978–80–86526–36–2, 978–80–86526–416, 978–80–86526–30–0, 80–86526–11–9

THEATER
Hrdý Budžes / Der tapfere Bella Tschau

Im Jahre 2003 entstand nach dem Roman Der tapfere Bella Tschau die gleichnamige Inszenierung im Antonín Dvořák Theater Příbram. Der Text wurde von der Autorin selbst dramatisiert, die Hauptrolle übernahm Bára Hrzánová, Regie führte Jiří Schmied.
Bára Hrzánová erhielt für ihre ausgezeichnete Leistung den Thalia-Preis. Die Vorstellung wurde ein derartiger Publikumserfolg, dass es bis heute in ganz Tschechien aufgeführt wird; auch das bekannte Prager Theater Divadlo bez zábradlí nahm es in sein Repertoire auf. Die Anzahl der Reprisen hat bereits 700 überschritten.

PRESSESTIMMEN:
Eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, die die Autorin der Novelle und der Dramatisierung Irena Dousková mit Ironie und Naivität aufgezeichnet hat. Auf die Jahre der Normalisierung unter dem Husák-Regime blickt sie aus den Augen eines 8-jährigen Mädchens zurück. Es ist ein zauberhafter kindlicher Blick, bei dem selbst das Schrecklichste nicht mehr ganz so schlimm ist und der Glaube noch nicht zu einem leeren Begriff geworden ist. Die bedrückende Atmosphäre der Zeit wird aufgelockert, jedoch nicht simplifiziert. Erinnern Sie sich? Die Bratislaver Lyra, die Spartakiaden, die JZD, die Jiskřičky, die Kaderurteile. Die Inszenierung erinnert Sie an die ganze Absurdität des totalitären Systems. Dem Stück fehlt es weder an Lachen noch an Weinen, sie spüren einen Stich in der Seele und dabei haben Sie immer noch ein Lächeln auf den Lippen.
Die kleine Helena steht im Mittelpunkt des Stücks. Auf den Schultern von Barbora Hrzánová liegt also die gesamte Last der Inszenierung. Die Schauspielerin trägt sie jedoch mit der gleichen Leichtigkeit auf dem Rücken wie ihre Schultasche. Ob in Gummistiefeln, im schief zugeknöpften Mantel oder mit der Mütze auf dem Kopf – immer sieht sie wie ein polnischer Jude aus. Ihre Komik beschränkt sich nicht auf schreckliche Grimassen. Ihr gelingt es, die kindliche Arglosigkeit, Naivität und Weisheit zu spielen, mit der Kinder instinktiv „den Nagel des Problems auf den Kopf treffen“. Es ist kein infantiles Mädchen, wie es oft von Schauspielern dargestellt wird, wenn sie versuchen ein Bild der kindlichen Seele einzufangen. Sie leugnet nicht die Ironie und den distanzierten Blick eines Erwachsenen in sich.
(Kultura-příspěvek, Und bleib tapfer! Jana Dlouhá)

Die kleine Helena Součková in ihrer Darstellung durch Barbora Hrzanová ist wirklich ein sehr dankbarer „Fratz“. Sie hat eine äußerst seltsame Eigenschaft: sie unterscheidet sich von den anderen durch eine eigenwillige Sicht auf die Welt. …
… Wie ist diese Helena der Barbora eigentlich? Hrzanová verleiht ihr den physiognomisch unverfälschten Ausdruck eines intellektuellen Mädels. Ihr gelingt es einfach vollkommen, das schnelle Tempo des Geplappers zu halten, in einer dramatischen Pause innezuhalten, die Stimme zu einem großen Staunen zu dehnen, jegliches Geheimnis ihres Lebens zu unterstreichen, bis zu einem gefühlvollen Weinen zu gelangen, wenn sie Enttäuschungen ihres Lebens durchlebt.
(Časopis-scéna.cz, Geheimnisse aus dem Leben eines achtjährigen Mädchens – Barborá Hrzánová als dankbarer „Fratz“)

Regie J. Schmiedt
Premiere: 7. November 2002
Helena Součková: Barbora Hrzánová
Frau: Jarmila Vlčková / Marcela Šiková
Mann: Libor Jeník

Oněgin byl Rusák / Onegin war Russe

Im Jahre 2007 dramatisierte Irena Dousková in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jan Borna ihren Roman Onegin war Russe. Die Premiere erfolgte am 19 Januar 2008 im Prager Theater Divadle v Dlouhé. Im Unterschied zum kammerspielartigen Charakter von Der tapfere Bella Tschau (für drei Schauspieler) war an der Vorstellung des Onegin beinahe das gesamte Ensemble des Theaters beteiligt. Die Atmosphäre der frühen 1980er Jahre wird unter anderem von einer Reihe von Liedern dieser Zeit erzeugt, derer sich die Schauspieler und Musiker des Theaters mit Begeisterung und der für sie charakteristischen Meisterschaft annahmen.

Mitarbeit am Text des Theaterstücks: Jan Borna.
Regie: Jan Borna
Bühnenbild: Jaroslav Milfajt
Kostüme: Petra Goldflamová Štětinová
Musik: Milan Potoček
Regieassistenz und -mitarbeit: Jan Vondráček
Lenka Veliká – Helena Součková, Gymnasiastin
Ivana Lokajová – Jůlie Molová, Gymnasiastin
Jan Vondráček – Pavel Havlíček, Gymnasiast
Pavel Tesař – Jan Kaplan, Gymnasiast
Martin Matejka – Richard Schlesinger, Gymnasiast
Martin Veliký – Antoša, Gymnasiast
Magdalena Zimová – Páťa Jíchová, Gymnasiastin
Michaela Doležalová – Jiřina Krsická, Gymnasiastin, Frau Molová
Iva Klestilová – Kateřina Součková-Brďochová, Mutter von Helena Součková
Vojtěch Vondráček – Pepíček, Bruder von Helena Součková
Arnošt Goldflam – Karel Freistein, Vater von Helena Součková
Marie Turková – Helena Freisteinová, Krulerová u. a.,
Tomáš Rejholec – Herr Mol
Jiří Wohanka – der australische Herr Mol, Fořt u. a.
Miroslav Hanuš – Bauch, Direktor des Gymnasiums, Mann im Café u. a.
Naďa Vicenová – Jeníčková, Klassenlehrerin, Frau auf der Brücke u. a.
Klára Sedláčková-Oltová – Klepáčová, Geografielehrerin, Gábina, Unauffällige u. a..
Ilona Svobodová – Frau Doktor Tökelyová, Zmalovaná u. a..
Čeněk Koliáš – Exhibitionist, Kellner u. a.
Halina Ničová – Krankenschwester
Pavel Tesař – Gustáv Husák
Helena Dvořáková – Klepáčová, Geografielehrerin, Gábina, Unauffällige u. a.
Musiker: Kateřina Jirčíková, Pavel Lipták, Milan Potoček, Tomáš Rejholec

Darda / Schlag
Im Prager Theater Divadle na Jezerce hatte am 12. 12. 2012 das Stück Schlag seine Premiere – die Adaptierung des letzten Teils der Romantrilogie über Helena Součková. Inszeniert wurde die Tragikomödoe von Arnošt Goldflam, in der Hauptrolle trat abermals Bára Hrzánová auf. Weiter spielten Lenka Vlasáková, Miluše Šplechtová, Petr Vacek, Jan Hrušínský und andere.
Die Zeit hat am eisernen Vorhang den eisernen Vorhang heruntergerissen, und so ist aus der Schülerin und in der Realität des Husák-Regimes aufgewachsenen Gymnasiastin eine verheiratete Frau und Mutter von zwei Kindern geworden. Obwohl sich die Kulissen der Zeit gewandelt haben, sieht es merkwürdigerweise nicht danach aus, dass die Welt eine bessere geworden ist. An die Stelle der Krise der Normalisierung ist nun die Midlife-Crisis getreten. Und wenn schon Krise, dann eine richtige: so folgt ein Schicksalsschlag nach dem anderen.

Regie: Arnošt Goldflam
Bühnenbild und Kostüme: Petra Goldflamová Štětinová
Musik: Milan Potoček
Produktion: Jan Hrušínský
Choreographische Beratung: Klára Maříková
Zeichnung auf den Plakaten: Lucie Lomová
Regieassistenz: Veronika Zemánková
Sounddesign: Ladislav Greiner
Barbora Hrzánová – Helena Součková
Lenka Vlasáková – Jůlie Molová
Petr Vacek – Jindřich Darda
Miluše Šplechtová – Ljubica Kozel
Jan Hrušínský – Karel Freistein
Rostislav Novák – Pepa Nus
Martin Sitta – Tonda
Michal Kem – Kuk

FILM UND FERNSEHEN

Micimutr / Miezemutter
Ein Märchen über eine Prinzessin, einen Drachen und Wunder, die geschehen, wenn man den ersten Schritt tut. Seine Premiere im Tschechischen Fernsehen hatte es am Heiligen Abend 2011 und wurde von 2,26 Millionen Leuten gesehen, was die Hälfte derjenigen ausmacht, die zu dieser Zeit vor den Bildschirmen saßen.
Darsteller: Marika Šoposká, Ondřej Novák, Vojtěch Dyk, Libuše Šafránková, Martin Dejdar, Jaroslava Kretschmerová, Jiří Bartoška und andere. Regie: Vít Karas. Idee und Drehbuch: Irena Dousková, Dramaturgie: Barbara Johnsonová. Musik: Ondřej Brousek, Kostüme: Jarmila Konečná, Szenenbild: Martin Kurel, Pruduktionsleitung (Tschechisches Fernsehen): Ivana Neumannová. Kamera: Pavel Berkovič. Dramaturgische Leitung: Kateřina Krejčí. Chefproduzenten: Magdalena Sedláková, Viktor Průša.

O pokladech / Über Schätze
Ein Märchen über Schätze, die verborgen sind, und Menschen, die sie suchen und dabei vergessen, dass der größte Schatz in ihrem Herzen verborgen liegt. Seine Premiere im Tschechischen Fernsehen hatte es am 30. Dezember 2012. Drei Wächter eines unterirdischen Schatzes spielen mit drei menschlichen Schicksalen: mit dem eifersüchtigen Jakub, der gutherzigen Barborka und dem habgierigen Bořivoj. Diese drei brechen auf um einen Schatz zu suchen, dabei wird es nicht nur um diesen gehen, sondern vor allem um Liebe und sogar ums Leben. Und auch wenn ihnen die seltsamen Wächter den Weg erheblich erschweren, geht am Ende alles gut aus – wie in jedem Märchen.
Darsteller: Jana Pidrmanová, David Švehlík, Adam Kraus, Vojtěch Dyk, Markéta Frösslová, Josef Polášek, Pavel Liška, Jan Budař, Petr Varga, Tomáš Töpfer, Karel Heřmánek, Jan Vondráček, Jiří Ployhar ml., Otmar Brancuzský, Jiří Novotný, Karel Heřmánek ml. und andere. Regie: Vít Karas. Idee und Drehbuch: Irena Dousková. Dramaturgie: Barbara Johnsonová. Musik: Ondřej Brousek, Karel Holas. Kostüme: Jarmila Konečná. Szenenbild: Martin Kurel. Produktion: Ivana Ivana Jaroschy. *Kamera: Pavel Berkovič, David Cysař.

REZENSIONEN

Der Bärentanz ist für Hašek kein Bärendienst
Jana Benediktová, ČT 24, 8. 4. 2014
„Da müsste ich ein anderer Honigscheißer sein, dass sie mir einen Platz in einem Lesebuch geben“, sagt Jaroslav Hašek im Roman „Bärentanz“. Doch er bekam seinen Platz in den Schulbüchern, obwohl er kein Honigscheißer war; auf keinen Fall sieht die Verfasserin dieses schmucken Wörtchens und des Romans Irena Dousková ihn als solchen. Sie entledigt ihn sogar – zumindest teilweise – des etwas platten Etiketts eines Gasthauskumpanen und boshaften Spaßmachers.
Dousková hat aus dem vierzigjährigen Leben Hašeks die letzten zwei Jahre ausgewählt, als er ins Dorf Lipnice nad Sázavou umzog und als die Herausgabe der „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges“ begann, eines Werks, das die Sicht auf Hašek ein für allemal bestimmen sollte. Indirekt konfrontiert sie so den Schriftsteller mit seiner schicksalshaften Figur.
Hašek ist auch im Roman ein ewiger Erzähler (ebenso wie Schwejk – eine seiner Histörchen lässt Dousková sogar mit Schwejks typischer Formulierung „Ich hab' da einen gekannt…“ beginnen), und zwar von humorvollen, wenn auch bitteren Geschichten, die ein Gleichnis des menschlichen (tschechischen?) Wesens darstellen. Es überwiegen Begebenheiten mit verschiedensten Tierarten (z.B. die Geschichte über ein Schlachtfest und das Schwein als besten Freund des Menschen oder eine über den „Kleinen Böhmisch-mährischen Ungeladenen“), wohl als Verweis auf Hašeks Tätigkeit in der Redaktion der Zeitschrift „Welt der Tiere“, während der er sich die verschiedensten Geschöpfe unverfroren einfach ausdachte.
Auch Douskovás Roman ist keineswegs eine glaubwürdige Biographie. In das belletristische Erzählen streut die Autorin zwar scheinbar authentische Briefwechsel und Artikel aus Zeitungen der damaligen Zeit ein, doch außer eingefleischten Hašek-Forschern kann sich wohl niemand ganz sicher sein, welche Texte, Figuren und Ereignisse „wahr“ und welche das Werk ihrer Phantasie sind. Die Autorin selbst will das nicht verraten und meint, darum gehe es überhaupt nicht. Und darum geht es tatsächlich auch nicht.
Auch wenn der Verleger (Druhé město) die Leserschaft mit einem Roman über Jaroslav Hašek gewinnen will, so ist Hašek darin in Wirklichkeit nur eine Figur neben anderen; allerdings spiegeln sich in den anderen Figuren Ausschnitte seines vorherigen Lebens wider, genauer gesagt stellt jede von ihnen ein Stück seiner „gespaltenen“ Persönlichkeit dar (ob diese Spaltung in Hašeks wirklichem Leben durch seine eigene Stilisierung oder durch die Interpretation anderer verschuldet war, sei dahingestellt). So haben wir hier Toni; er ersetzt den Sohn des fürs familiäre Leben ungeeigneten Schriftstellers aus erster Ehe, den dieser nicht zu Gesicht bekommt. Oder den Bolschewiken Ferda, „Fortschritt“ genannt, den Hašek nicht ausstehen kann, weil er ihn zu sehr an seine eigene Tätigkeit im bolschewistischen Russland erinnert.
Dann haben wir hier den (tatsächlich existierenden) Forstmeister Böhm und den Gastwirt Bondy, der fähig ist, es Hašek mit gleicher Münze heimzuzahlen und dessen Geschichte im Prolog und im Epilog den Roman durch die Andeutung (wieder à la Schwejk?) umrahmt, dass die Komödie nur eine andere Form der Tragödie sein kann. Auf eine Seelenverwandtschaft in Sachen Wahrnehmung von Absurdität als einer Art Mittel, das Wesentliche auszudrücken, verweist ein Brief an den Vater (!) von Franz Kafka. Und durch die flüchtige Erwähnung von Mácha und Němcová reiht die Autorin Hašek in die Gesellschaft zu Lebzeiten häufig wenig verstandener markanter literarischer Persönlichkeiten ein.
Dousková selbst beweist in ihrer Prosa, dass sie Sinn für bitterkomische Stimmungen hat. Das war bereits in ihrer Trilogie über die sozialistische Kindheit und Jugend der Helena Součková zu erkennen („Der tapfere Bella Tschau“, „Onegin war Russe“, „Schlag“), auch wenn dieses Werk aus völlig anderem Holz geschnitzt ist. Ähnlich ist jedoch die formale Gliederung in nicht allzu lange einzelne Geschichten, die von einer Pointe abgeschlossen werden (auf diese Weise wird – vielleicht unabsichtlich – nur Hašeks Nachsinnen über Anekdoten in einer von ihnen aufgenommen). Im „Bärentanz“ könnten sie vielleicht etwas weniger zersplittert gestaltet sein (so wie auch die unübersetzten russischen und deutschen Passagen zu Unverständnis beitragen können), doch auch so zeichnen sie ein ziemlich überzeugendes Bild von einem tschechoslowa­kischen Dörfchen in den beginnenden 1920er Jahren, das wenig mit den Ansichtskarten von Josef Lada gemein hat.
Hašek, der mit Krankheit und den Folgen seines lebenslangen Alkoholismus zu kämpfen hat, schreibt im von Prag vergessenen Lipnice den Schwejk und nebenbei Possen, die von einer Laientheatergruppe bei Maskenbällen aufgeführt werden. Um ihn herum spannen sich tschechisch-deutsch-jüdische Beziehungen, heidnischer Aberglauben besteht neben Katholikentum, seine ewig missmutige Frau Šura äußert auf ihre Art sowohl ihre Zuneigung als auch ihr Missfallen und er drückt mit zuweilen unerträglichem Humor sowohl Freundschaft als auch Einsamkeit aus.
In den lustigen böhmischen Zeiten tanzte er mit einem Bärenfell bekleidet im Prager Kaffeehaus Montmarte mit Emča Revoluce, dann verwickelte er sich in den revolutionären Wirbeln des russischen Bären und jetzt glotzen ihn einige von oben herab an wie eine Jahrmarktsattrak­tion, einen Tanzbären. Dazu kommt, dass er sich selbst nicht immer wohl in seiner Haut fühlt. „Lassen wir uns nicht durch das Lachen täuschen!“ schreibt der Schulleiter von Lipnice in einem Brief an den Ausschuss zur Erhebung der Literatur und des tschechoslowa­kischen Schrifttums, in dem er Fürsprache für Hašek einlegt. „Halten Sie sich von solchen Hašeks fern“ bekommt er als Antwort. Die Leser, ob sie nun für Hašek Verständnis haben oder nicht, sollten sich nicht an diesen Rat halten.

Das Jahr des Endes
Simona Pinnerová, HOST, 2014, Jahrgang XXX, Nr. 8, S. 86
Roman über die letzten Monate im Leben Jaroslav Hašeks und viele Dinge rundherum
Ob Sie nun zu den Anhängern von Hašeks „Geschicken des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges“ oder zu ihren hartnäckigen Gegnern gehören, mussten Sie zweifellos auf irgendeine Weise mit dem meist übersetzten tschechischen Buch klarkommen. Außer den Deutungen des Schwejk schafft es Jaroslav Hašek bis heute, auch Interesse für seine eigenen Geschicke zu wecken und zwar nicht nur während des Weltkriegs. Seinem letzten Lebensjahr hat Irena Dousková ihren neuen Roman gewidmet. Die Autorin, die insbesondere durch ihre Trilogie „Der tapfere Bella Tschau“ (2002), „Onegin war Russe“ (2006) und „Schlag“ (2011) berühmt geworden ist, webt ihre Fiktion um die letzten Tage des eigenwilligen Schriftstellers.
Das letzte, was wir vom Roman erwarten könnten, ist das traditionelle Genre einer Biographie. Dousková erkundet zwar Hašeks Ableben in Lipnice nad Sázavou, doch fängt sie vor allem den schrittweisen physischen und später auch psychischen Verfall eines intellektuellen Bohemiens vor dem Hintergrund des Jahres 1922 ein. Die stickige Atmosphäre des nahenden Faschismus deutet die Autorin lediglich auf gewitzte Weise an. Dazu benutzt sie Zeitungsausschnitte der damaligen Zeit oder persönliche Briefe. Hašeks nahendes Ende wird mit geradezu expressionistischen Mitteln dargestellt. In der eiskalten Winterlandschaft ist Hašek, der Wanderungen durch die Natur ähnlich wie der im Text erwähnte Mácha über alles liebt, in seiner Krankheit nicht einmal mehr fähig, das nahe Gasthaus aufzusuchen. Unverständnis und Ablehnung allgemeiner politischer sowie kultureller Ansichten weisen eine naturalistische Parallele zum Hinscheiden des Menschen auf. Als ob Hašek, ein Individualist durch und durch, beinahe lebendig begraben würde. Als ob seine lebenslange Provokation im literarischen wie auch im persönlichen Leben ihren Tribut forderte. Auf die Dorfbewohner wirkt Hašek wie Schwejk selbst: eine lustige Karikatur, von der die meisten Leute glauben, er sei verrückt, und den nur einige wenige aufgeklärte Einheimische ganz im Gegenteil schätzen. Für ein paar unvoreingenommene Figuren wird er sogar zum Vorbild. Obwohl er nichts auf die Meinungen anderer gibt, leidet er Zeit seines Lebens darunter, dass er von anderen Schriftstellern und Kritikern nicht anerkannt wird.
Dazu ist Hašeks Lebensende geradezu ein Vorwand für das Nachsinnen über den Glauben. Dieser findet seinen Weg in beinahe jeden Handlungsstrang, dazu sind die unterschiedlichen Konfessionen einzelner Figuren ein Impuls für entsprechende Gedankengänge: der katholische Pfarrer, die orthodoxe Šura oder der Jude Bondy. Dousková bemüht sich vor allem darum, ihren Charakter und ihre Haltung zum Glauben selbst aufzudecken. Auf sehr sensible Weise enthüllt sie die „weltlichen“ Gedanken des Pfarrers, der täglich nicht nur mit seinen Schäfchen, sondern vor allem mit sich selbst zu kämpfen hat. Er tut Buße, ohne dass er eine reale Sünde begangen hat. Dank der aufgezeigten Schwächen wird hier sein menschliches Gesicht enthüllt. Auch der ursprüngliche Anarchist Hašek wird hier als tief Gläubiger geschildert, ungeachtet seines Lebensstils, der von Alkoholismus, Bigamie, endlosem Lästern und weiteren Sünden geprägt war. Obwohl er nicht nach den zehn Geboten lebt und zu den Dogmen eine andere Meinung hat als der Pfarrer, respektieren die beiden einander bis hin zur Grenze einer Freundschaft.
Abgesehen vom Thema fesselt der „Bärentanz“ den Leser auch durch den ungewöhnlichen Aufbau des Textes. Im Unterschied zur erwähnten Trilogie benutzt hier Dousková die Er-Form und lässt verschiedene Erzähler zu Wort kommen, die Bestandteil von Hašeks Leben sind. Verschiedenartige Sichtweisen auf einzelne Ereignisse wechseln einander von einem Kapitel zum nächsten ab und folgen einer mehr oder weniger chronologischen Reihenfolge. Auch wenn sich der Leser am Beginn in den Zusammenhängen der Handlung schlechter orientiert, so kommt ihm nie das Gesamtbild abhanden. Ganz im Gegenteil trifft die Autorin durch eine andere Sicht auf die Geschichte am besten die Kompliziertheit des Wesens Jaroslav Hašeks. Auf der erzählerischen Ebene offenbart sie seine festen Prinzipien und Meinungen, obwohl er auf die meisten Figuren durch sein Auftreten lediglich wie ein ungeschliffener Rüpel wirkt. Wie sehr er auch mit seinem Zynismus und seiner Rebellion seine Nächsten zu verletzen wusste, so versuchte er lediglich in ihnen irgendeine Reflexion zu provozieren. Doch widersteht Dousková der Versuchung, ein leicht kitschiges Bild von Hašek als einem unverstandenen, am Rande stehenden Genius zu zeichnen.
Durch das Zusammentragen einzelner Indizien entsteht das psychologisch ausgearbeitete Porträt eines komplizierten und unglücklichen Mannes. Das Spiel der Autorin, das sie dem Leser durch das schrittweise Enthüllen von Hašeks Charakter aus der sicheren Distanz der dritten Person bietet, funktioniert einwandfrei.

STERBEN AUF DER STURMHÖHE
Bruno Solařík, Tvar, 14. 5. 2015
Man könnte von einem Buch marginaler Beobachtungen vor dem Hintergrund des kaum dokumentierten Endes des Schriftstellers Jaroslav Hašeks zwischen dem August 1921 und dem Januar 1923 sprechen. Dabei nutzt Irena Dousková die wenigen bekannten Daten über das Finale des Prager Enfant Terrible in Lipnice so wenig wie möglich, als wenn sie sich davon überzeugen wollte, ob sich die Geschichte nahezu aus dem Nichts hervorzaubern lässt. Selbst die Arbeit am Welt-Bestseller namens Schwejk wird nur angedeutet (zum Beispiel durch die erfundene Erinnerung Hašeks an den Großvater, der ihm als Kind über die Schlacht von Solferino vorsang), als ob es sich hierbei nur um eine Arbeit am Rande handelte, die vom dilettantischen Zusammenstückeln einer Posse für das örtliche Laientheater beiseite gedrängt wird, und dies vor dem Hintergrund der Alltagsbanalität einer weltabgeschiedenen Kleinstadt. Die Fakten über Hašeks Leben bilden nicht das Gerüst sondern lediglich die authentifizierende Patina eines Bildes, das sich aus fiktiven Erinnerungen, Träumen und Begebenheiten zusammensetzt. Weder bekanntere Persönlichkeiten (Panuška, Sauer, Longen, Longenová, Kuděj) noch Figuren aus Lipnice, die in pikanten Histörchen von Zeitzeugen ihre Rolle spielen (zum Beispiel der Lehrer Mareš, der sich laut Longen von Hašek zum Beitritt zur Kommunistischen Partei verleiten ließ und diesen nach dem Ausnüchtern auf Knien um die Rückgabe der Anmeldung bettelte), sind im Roman zu finden; dagegen sind es erdachte Figuren wie der Pfarrer, der Kirchendiener, der Maskenball-Unernehmer Mašek, der Schulleiter (der seiner Frau zu Weihnachten den Roman „Sturmhöhe“ kauft), der Lumpenproletarier und Taugenichts Pokrok (zu Deutsch Fortschritt, der Hašek ein Dorn im Auge ist, weil er durch sein Falottentum dessen Glauben an den gewöhnlichen Menschen zunichtemacht) oder der Bursche und Hašeks Freund Toni (der sich am Anfang fürchtet, „von einem Bolschewiken verzaubert“ worden zu sein), die sich in Lipnice mit dem realen Gastwirt Invald, dem Förster Böhm, dem jüdischen Spirituosenher­steller Bondy und weiteren einheimischen Figuren die Klinke in die Hand geben, die aus Hašeks Briefwechseln und durch Zeitzeugen bekannt sind. Dabei ist es bezeichnend, dass die realen und imaginären Helden die Handlung auf angenehme Weise durch die unspektakulären Akte einer stummen Groteske beleben: „… Bondy stieß auf dem Platz auf Böhm. Beinahe wörtlich. Hubert [Böhm] bückte sich gerade und schnürte sich vor seinem Haus die Schuhe, während jener sich rückwärts vom Ausschank entfernte und sich dabei lebhaft mit einem Kunden unterhielt, der in der Tür stand. Zwei Schritte mehr, und es wäre zu einem Zusammenstoß gekommen. So grüßten sie sich nur und blinzelten dabei, weil – ein fertiges Wunder – gerade die Sonne hinter den Wolken hervorkam.“ Bei einem Text, der sich gezielt von den Realien abwendet, um die Atmosphäre eines verfrühten Herbstes eines einzigartigen Lebens einzufangen, gibt es keinen Grund, diese legitime Abwendung zu kritisieren, dafür jedoch die Elemente, die das erwünschte Einfangen der Atmosphäre stören. In diesem Sinne ist es strittig, ob es sich gelohnt hat, sozusagen erst die Geschichte aus Büchern aus dem Fenster zu werfen, um sie dann wieder durch die Tür zurückzubringen, und (mithilfe realer Fragmente aus der damaligen Presse und des inneren Kampfes des Pfarrers) äußerlich einen politischen Bogen des Übergangs von der österreichisch-ungarischen zur republikanischen Ordnung zu spannen; noch dazu wissen wir, dass es – als einer der ersten Intellektuellen jener Zeit – gerade Hašek war, der in dem gegebenen Übergang keinen Unterschied sah: so verfasste er nicht nur als Bürger in Zeitungen kritische Hinweise auf die Namen österreichischer Generäle mit dem Blut tschechischer Menschen an den Händen, die seelenruhig ihre Posten im Verteidigungsmi­nisterium der neuen Republik einnahmen, sondern betonte auch als Autor gleich im Vorwort zum Schwejk die Austauschbarkeit der beiden Regimes. Nicht besonders glaubwürdig erscheint dann das gewissermaßen eingebaute Material eines Theaterstreichs „Hašeks“, der sich als Ganzes gegen den Kult des Präsidenten Masaryk wendet. Aus den glaubwürdigen Erinnerungen von Invald wissen wir nämlich von einem Streit, in dem Schwejk in Lipnice dem örtlichen Organisten die Beleidigung von Akteuren der russischen Revolution mit den Worten vorwirft: „Hast du jemals gehört, dass ich Kramář oder Rašín beleidigt hätte?“ In Wirklichkeit ist zudem aus Lipnice Hašeks Handschrift eines gereimten Pamphlets erhalten geblieben (als Motiv auch in den Schwejk eingebaut), in dem es nicht um die politischen Ereignissen der Zeit sondern um zwei geschiedene Frauen aus Roztoky geht, die einen alten Drehorgelspieler vergewaltigt haben… Kurz gesagt ist aus diesen Indizien ersichtlich, dass leidenschaftliches Politisieren auf dem Mikro-Grundriss der Tschechoslowa­kischen Republik für den Absolventen einer reizvollen Reise bis an die chinesische Grenze allem Anschein nach kleinlich und uninteressant gewesen wäre.
Auf der anderen Seite ist es Dousková gelungen, einen zentralen sozialen Moment zu erfassen, dem Hašek auch in Lipnice treu geblieben ist, nämlich seine tiefe Abscheu gegen den Krieg als höchsten Ausdruck eines entmenschlichten Mechanismus gesellschaftlicher Absurdität. Der Junge Jaroslav, der einen „…Trauerzug von Ameisen“ beobachtet, der sich am Ort, wo eine Schnecke krepiert ist, „von einer geordneten Formation in eine respektlose Fresserei verwandelte“, äußert dann beim Hören eines Liedes, in dem von „Blut bis zu den Knien und Fleischhaufen“ die Rede ist: „Das möchte ich nicht erleben.“ Und er erlebt es. Douskovás Beschreibung einer Schlacht, deren bombardierte Front durch einen Friedhof führt, könnte im Hašekschen Sinne treffender nicht sein: „Die Toten springen wortwörtlich aus den Gräbern. […] Die Leichen in allen Stadien des Zerfalls fangen an, sich mit den völlig neuen zu vermischen. […] Ein halb angefaulter Knochen fällt direkt neben ihm zu Boden. Im selben Moment fällt auch Procházka. […] Als ob die Knochenfinger des Glücklichen, der ein paar Monate, bevor die Front hierher kam, eines natürlichen Todes gestorben war, auf ihn zeigen würden.“
Mit ähnlichen Lesersympathien lassen sich die Neben-Fabeln beurteilen, wie etwa die menschliche Geschichte des Pfarrers (und künftigen Folterers), dem auffällt, dass der Stil seiner Wirtschafterin hinkt, „als ob diesen Brief ein Brett oder eine Stalltür geschrieben hätte“; das macht ihm zwar nichts aus, doch fürchtet er, dass er mit ihr in völliger Betrunkenheit ein Kind gezeugt hat, ohne sich daran erinnern zu können. Sinn macht auch die Geschichte, die von der jüdischen Herkunft eines (realen) Freundes von Hašek, des Spirituosenher­stellers Bondy inspiriert ist (aus dessen erdachten Briefwechsel mit seinem Bruder hervorgeht, dass dieser der Vater von Franz Kafka ist). Die malerische Geschichte eines Reliquien-Splitters vom Scheiterhaufen Jan Hus', mit dessen Abtransport nach Amerika gewissermassen in Böhmen etwas zu Ende geht, dient hier als Analogie von Momenten der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts und führt hin zu einem furchterregenden Spiegel einer für Hašek nicht mehr ersichtlichen Zukunft, in der sich Bondy auf dem Weg zum Sammelplatz für den Abtransport vorzustellen vermag, „was wohl Jarda dazu sagen würde“, während der Kirchendiener, für den Božena Němcová eine Dirne ist, „etwas über die jüdischen Säue bemerkte.“
In menschlicher Hinsicht ist Hašek im „Bärentanz“ mit seismologischer Sensibilität gezeichnet. Der emotionale Hafen umfasst hier die importierte Šura („Sie mag ihn. Er mag es, dass sie ihn mag.“), die bei Dousková – in Übereinstimmung mit den Annahmen des Hašek-Forschers Pavel Gan – an Jaroslav heimlich heidnische Zaubertricks anwendet, um dadurch die Beziehung zu Hašeks erster Frau Jarmila zu beeinflussen. Dieser Hafen ist von der Figur Toni von den Nachbarn überdacht, der dem fabulierten Hašek zum einen den verlorenen Sohn Ríša ersetzt und zum anderen die eigene Kindheit näher bringt. Die belegte Feststellung, dass Hašek „immer jedem vergeben hat“, vermählt sich mit der schicksalhaften Melancholie zu einer Zeit, als es wohl keine Gelegenheit mehr geben wird, weiterhin anderen zu verzeihen: „ Er dachte daran, dass er halb Europa und ein Stück Asien durchwandert hat und dass er es jetzt nicht einmal mehr nach Okrouhlice schafft.“
Den Fall des bescheidenen großen Schriftstellers kündigt Doušková mit der magischen Symbolik einer Hoffnung an, die – zu guter Letzt – ebenfalls stirbt: auf dem verwahrlosten Hof von Pokrok bildet hier ein seltsame Beschreibung die Symbolik: „Mitten im Verderben eine Art neben der anderen, der Enterich neben dem roten Kater, nebeneinander und allem Anschein nach zusammen, unbewegt und ernst durch den Lattenzaun in die Ferne blickend.“ Nebeneinander und allem Anschein nach zusammen. Für Hašek bedeutet dies laut Dousková eines: „Wie viel uns davon für immer verborgen bleibt, sofern wir nicht genügend in Betracht ziehen, was offenkundig ist.“
Eine treffende Charakterisierung von Hašeks spirituellem Materialismus, verkörpert im Schwejk – als Šura ihm in der Neujahrskrise auf die drei mal wiederholte Frage antwortet, dass der Enterich dort nicht mehr sei, dass dort nur mehr der Kater sei, „drehte er sich zur Wand und sagte bis zum Abend kein Wort mehr.“ Es folgt nur noch das Ende des Spaßes, ein für alle mal.
Den wohl treffendsten Ausdruck von allem zusammen – von Hašek, Schwejk und dem Ende, das kein Ende hat – lässt sich bei Dousková in der Randfigur der vergesslichen Großmutter von Toni finden, die ihrem Enkel erzählt: „Und dann ist sie weiter nach Cerhovice gegangen, aber da ist sie vor dem Gendarmen erschrocken und hat sich hinter dem Birnbaum versteckt und ist dann aufs Geratewohl den Hügel runter gerannt, um ihm nicht zu begegnen. Und irgendwie ist sie völlig durcheinander gekommen und hat überhaupt nicht mehr gewusst, kurz und gut, sie konnte nicht mehr… Toni, ich erzähl dir das morgen zu Ende.“
In diesem Buch marginaler Beobachtungen rund um ein Sterben ist der Autorin also das Wesentliche gelungen: Hašeks eigenes Gespür für die Poesie und den Witz gewöhnlichster Menschlichkeit zu betonen, fern von äußerlichen Ehrenbezeugungen, auf der Sturmhöhe.

Unter dem Titel „Von weißen Elefanten“ erscheinen Erzählungen von Irena Dousková
Radim Kopáč, PRÁVO, Dienstag 4. November 2008
Nach dem Roman „Onegin war Russe“ stellt sich die Prosaisten Irena Dousková als Autorin von Erzählungen vor. Acht haben im Werk „Von weißen Elefanten“ ihren Platz gefunden und sind hier durch einen Abzählreim verbunden: „Glück, Unglück, Liebe, Ehe, Jungfrau, Wiege, Gräfin, Tod“. Im Erzählband „Warum ist diese Nacht so anders?“ (2004) arbeitete Dousková mit Allegorie, jetzt bewegt sie sich im Rahmen von Quasi-Memoiren.
Ihre Geschichten hat sie zwischen den Kulissen eines namenlosen Dorfes südwestlich von Prag Mitte der 1970er Jahre platziert und ihre Akteure in ein festes Beziehungsnetz eingewoben: von Liebe und Hass, Mitgefühl und Überheblichkeit, Furcht oder Bewunderung.
Die Helden sind gewöhnlich, alltäglich – doch keineswegs farblos. Jeder erfüllt die These von einem einzigartigen Schicksal, in dem sich ein Stück großer Geschichte widerspiegelt. Ihre Geschichten haben überraschend wenig Handlung, umso mehr und dringlicher entfalten sie jedoch eine Atmosphäre, führen sie ein Gefühl herbei, das die Autorin als „Duft der Zeit“ bezeichnet.
Eben dieser leichte Duft, der seinen Weg durch die stickigen und verschlafenen Verfallsersche­inungen der Normalisierung findet, bringt in die wehmütigen balladenhaften Texte eine Chance. Die Chance auf Verzückung, auf die Bewahrung persönlicher Freiheit. Ob sie nun in Gestalt des Glaubens, eines direkten und starken Gefühls, der Erscheinung eines längst verstorbenen Mädchens oder des titelgebenden Mythus von weißen Elefanten daherkommt.
Douskovás neues Buch ist wichtig: es bietet die genaue Anamnese einer abscheulichen Zeit, jedoch ohne vordergründigen Zorn oder Hass, eher mit einem mitleidigen Lächeln.

Irena Dousková: Goldstein schreibt seiner Tochter
Radim Kopáč, PRÁVO, 19.2.2007
Nach zehn Jahren erscheint von Neuem das Prosadebüt von Irena Dousková (1964) – ein Roman in Briefen mit dem Titel „Goldstein schreibt seiner Tochter“. Das erste Mal erschien er im zu Ende gehenden Verlag Melantrich, das zweite Mal im gerade anlaufenden Verlag Druhé město.
Während die berühmten Romane „Der tapfere Bella-Tschau“ und „Onegin war Russe“, ggf. auch der Erzählband „Doktor Kott grübelt nach“ zur humoristischen Ebene des Werks Irena Douskovás gehören, bilden die Bücher „Warum ist diese Nacht so anders?“, „Einer mit dem Messer“ und eben der „Goldstein“ den Gegenpol dazu: sie stellen die Autorin in ihrer existenziellen, eher tragischen als durch Humor belasteten Ausdrucksform vor.
Die Akteure dieses Prosawerkes sind zwei: der im israelischen Exil lebende Vater, Filmregisseur, „müde, ein ‚Fleischberg‘, berühmt, in gewisser Weise sehr allein, sozusagen ohne Ambition“, und die in Tschechien aufwachsende, etwa fünfundzwanzig­jährige Tochter, neugierig, wenn auch gefühlsmäßig und auch gedanklich furchtsam in sich zurückgezogen. Die Briefe (und später Telefonate und sogar persönlichen Treffen) fliegen jedoch nur in eine Richtung: von Tel Aviv nach Prag, und dies vor dem Hintergrund wesentlicher gesellschaftlicher Veränderungen, eingerahmt von den Jahren 1988 bis 1991.
Die väterlichen epistolarischen Monologe, die schrittweise nicht nur die Motive seines Abgangs von der Erde sondern auch die düstere Familiengeschichte freilegen, graduieren auf suggestive Weise: den ersten Berührungen folgen emotionelle Höhenflüge, als sich die Beziehung zwischen Goldstein und seiner Tochter geradezu auf die Ebene einer Liebesbeziehung bewegt – wenn auch erneut nur in eine Richtung: der in Einsamkeit, Klagen und Selbstmitleid gefangene Mann begreift die neu aufgebaute Bindung an die entfernte Frau als seine letzte mögliche Rettung. Als er feststellt, dass seine Tochter keinerlei Interesse an einer derartigen Zuneigung zeigt, kühlt er auf einen Schlag ab und versinkt in absurden Gewissensbissen, Vorwürfen und noch größerer Trauer.
Die Fähigkeiten zur Stilisierung, die Dousková im „tapferen Bella-Tschau“ oder in „Onegin war Russe“ unter Beweis stellte, zeigen sich bereits in ihrem Erstling; die Sensibilität, mit dem die Autorin die Geschichte aufbereitet hat, ist jedoch sicherlich dadurch gestützt, dass es sich hier um ihre eigene Geschichte handelt, beziehungsweise dass Goldstein seiner Tochter tatsächlich geschrieben hat und dass sie, nach Jahren, die Notwendigkeit einer Selbsttherapie empfunden hat. Und zwar eine Selbsttherapie bzw. ein autobiographisches Bekenntnis, das literarisch äußerst souverän gestaltet ist: „Goldstein schreibt seiner Tochter“ ist in erster Linie ein ausgezeichneter Ro­man.