BIO
Irena Dousková wurde 1964 in Příbram in eine
Schauspielfamilie geboren. Seit 1976 lebt sie in Prag, wo sie zuerst das
Gymnasium und zuletzt die juristische Fakultät der Karls-Universität
absolvierte. Den Rechtsberuf übte sie jedoch nie aus. Sie arbeitete in
verschiedenen Anstellungen, die meist in irgendeiner Weise mit journalistischer
Tätigkeit zu tun hatten. Seit einigen Jahren ist sie freischaffende
Schriftstellerin. Ihre Bücher wurden in 13 Sprachen übersetzt, z.B. ins
Deutsche, Englische, Polnische, Ungarische, Bulgarische, Slowenische, Russische,
Weißrussische, Bosnische, Ukrainische, Serbokroatische und Türkische.
BIBLIOGRAFIE:
Das Prager Wunder (gemeinsam mit anderen Autoren, 1992)
Goldstein schreibt seiner Tochter (1997, 2006)
Der tapfere Bella Tschau (1998, 2002 – deutsche Übersetzung 2006)
Einer mit dem Messer (2000)
Doktor Kott grübelt nach (2002)
Warum ist diese Nacht so anders? (2004)
Onegin war Russe (2006)
Von weißen Elefanten (2008)
Ohne Käppchen (2009)
Schlag (2011)
Bärentanz (2014)
Halb in der Luft (2016)
Kleine Särge (2018)
DRAMATISIERUNGEN:
Der tapfere Bella Tschau (2003)
Onegin war Russe (2008)
Schlag (2012)
BÜCHER
Rakvičky / Kleine Särge
Gleich zu Beginn dieses witzigen, aber auch berührenden
„Perestrojka-Roadmovies“ definiert die zwanzigjährige Rosa ganz klar ihren
schicksalshaften Plan: sie muss „den Ostrauer finden und ihm gestehen, dass
sie ihn liebt.“ In diesem Moment ahnt sie noch nicht, was für eine schwere
Aufgabe das wird…
Die Novelle über eine kurze Ferienreise ist nicht nur eine Geschichte über die
vier Protagonisten. Sie ist auch ein originelles Spiegelbild der Zeit, die
scheinbar ebenso unbeweglich ist wie der Spiegel tschechischer Fischteiche.
- Der Titel „Rakvičky“ bedeutet im Tschechischen nicht nur „Kleine Särge“ sondern bezeichnet auch eine typische tschechische Süßspeise, deren Form an einen Sarg erinnert.
Erscheinungsjahr: 2018
Verantwortlicher Lektor: Milan Ohnisko
Umschlaggestaltung und Grafik: Karolína Kotrbová
Taschenbuch mit Schutzumschlag
Format: 13×19 cm
160 Seiten
ISBN: 978–80–7227–404–8
Napůl ve vzduchu / Halb in der Luft
Der zweite eigenständige Gedichtband von Irena Dousková ist kraftvoll.
Wodurch? Durch seine kondensierte Melancholie, seine lapidare Bildhaftigkeit,
durch die sprachlich aufregende Suche in den Ritzen des persönlichen und
kollektiven Gedächtnisses und das genau dosierte Verhältnis von rationalem und
intuitivem Schreiben: „Von allen Seiten zieht es / Er ging auf ein Bier / Die
Hunde bellen / Die alte Jungfrau geht weiter“
Milan Ohnisko
Erscheinungsjahr: 2016
Taschenbuch
Preis: 179 Kč
Format: 12×18 cm
Illustrationen: Karolína Kotrba
Grafik: Bedřich Vémola
56 Seiten
ISBN: 978–80–807227–376–8
Medvědí tanec / Bärentanz
Diese Prosa gehört zur subtileren nichtautobiographischen Linie im Schaffen
der Autorin. Bewundernswert ist schon das Sujet selbst: die letzten Monate des
kranken Jaroslav Hašek im Dorf Lipnice. Bärentanz ist jedoch nicht nur eine
Geschichte, sondern auch ein reichhaltig strukturiertes Porträt der damaligen
Zeit.
Wir schreiben das Jahr 1922 und finden uns auf dem Land wieder, in einer Welt,
wohin sich Hašek zurückzog, um sein Lebenswerk zu schreiben. Švejk wird zwar
ein paar Mal erwähnt, doch das ist auch schon alles. Dousková hat keinen
biografischen Roman über einen Schriftsteller geschrieben, der erst nach seinem
Tod Weltruhm erlangte. Weit mehr interessiert sie die existentielle Situation,
das Verlöschen der Kräfte eines Mannes, der sich sein Leben Lang heldenhaft
amüsierte, der provozierte und noch dazu mit Witz darüber erzählen und
schreiben konnte.
In Lipnice schleppt sich der bereits berühmte Fußgänger mit seinen
angeschwollenen Beinen gerade noch ins Gasthaus. Immer noch steckt in ihm der
frühere Skandalautor, jedoch ist die Dorfgemeinschaft von Lipnice schon sein
letzten Gegner.
Die starke Seite des Romans macht die bedrückende Atmosphäre des
bevorstehenden Endes aus: draußen gießt es wie aus Eimern, der heulende Kamin
vertreibt erfolglos die eindringende herbstliche Kälte. Hašek schreibt immer
noch Verse für seine Freunde, ein Skandalstück für einheimische
Amateurschauspieler, doch in der Mitte der traumlosen Nacht trägt sein
Gesicht den Ausdruck eines erschrockenen Kindes, wie seine Frau Šura bemerkt,
die sich um den sterbenden Alkoholiker kümmert…
Richard Erml
Erscheinungsjahr: 2014
Hardcover mit Umschlag
Preis: 299 Kč
Format: 13×18 cm
Grafik: Bedřich Vémola
Foto: Igor Malijevský
296 Seiten
ISBN: 978–80–7227–346–1
Darda / Schlag
Nach den Bestsellern Der tapfere Bella Tschau (der auch als Theaterstück mit
der ausgezeichneten Barbora Hrzáková in der Hauptrolle Berühmtheit erlangte)
und Onegin war Russe (als Theaterstück in der Regie von Jana Borna) schließt
Schlag die Romantrilogie ab.
Die Zeit hat den eisernen Vorhang heruntergerissen, und so ist aus der
Schülerin und in der Realität des Husák-Regimes aufgewachsenen Gymnasiastin
eine verheiratete Frau und Mutter von zwei Kindern geworden. Obwohl sich die
Kulissen der Zeit gewandelt haben, sieht es merkwürdigerweise nicht danach aus,
dass die Welt eine bessere geworden ist. An die Stelle der Krise der
Normalisierung ist nun die Midlife-Crisis getreten. Und wenn schon Krise, dann
eine richtige: so folgt ein Schicksalsschlag nach dem anderen.
Diese tragikomische Geschichte spielt diesmal in unserer Zeit. Auch diesem Roman
fehlt es nicht an der vermeintlichen Leichtigkeit des Erzählstils, an Wortwitz
und Situationskomik. Nichtsdestotrotz gilt in diesem Fall mehr als woanders,
dass einem beim Lesen das Lachen im Hals stecken bleibt.
Erscheinungsjahr: 2011
Illustration: Lucie Lomová
200 Seiten
ISBN: 978–80–7227–314–0
Bez Karkulky / Ohne Käppchen
Dem Vers Ich würde nicht die dreizehnte Kammer betreten zum Trotz, scheint es,
dass Irena Dousková gerade in dieser Kammer ihren Gedichtband Ohne Käppchen
geschrieben hat. Obgleich es den Gedichten nicht an Witz und Leichtigkeit fehlt,
beben sie vor permanenter Enge einer gewissermaßen grausamen Welt, in die wir
ungefragt geworfen und aus der wir zu guter Letzt wieder ausgeworfen werden –
Gott allein weiß wohl, wohin. Dabei handelt es sich nicht nur um eine Enge, die
sich selbst im Blick hat, sondern auch um eine mitfühlende: Immer wieder kehre
ich zum Nullpunkt zurück / Der Nullpunkt / ist minus sechs Millionen.
Dousková ist jedoch eine Lyrikerin der Hoffnung: Wenngleich oftmals alles
verloren scheint, wenn nicht gar verdammt, so hör ich nicht zu beten auf .
Milan Ohnisko
Erscheinungsjahr: 2009
Illustrationen: Lucie Lomová unter Verwendung von Bildern eines unbekannten
Künstlers
Grafik: Bedřich Vémola
ISBN: 978–80–7227–287–7
O bílých slonech / Von weißen Elefanten
Prosa in feiner balladesker Stimmung, die gleichsam ein Gefühl flimmernder Luft
über erhitztem Asphalt hervorruft. Die Handlung spielt in den 1970er Jahren in
einer Gemeinde in der Nähe der Kleinstadt Beroun.
Innerhalb einer Woche erfüllt sich in kürzeren, miteinander verbundenen Teilen
der bekannte Abzählreim Glück, Unglück, Liebe, Ehe, Jungfrau, Wiege, Gräfin,
Tod.
die
Rezension
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Lucie Lomová.
Erscheinungsjahr: 2008
Grafik: Lucie Lomová, Bedřich Vémola (Satz)
ISBN 978–80–7227–276–1
Goldstein píše dceři / Goldstein schreibt seiner
Tochter
Neue Ausgabe im Verlag Petrov mit Umschlaggestaltung und Illustrationen von
Lucie Lomová.
Erscheinungsjahr: 2006
166 Seiten
Grafik: Lucie Lomová und Bedřich Vémola
ISBN 80–7227–253–5
Oněgin byl Rusák / Onegin war Russe
Das Buch knüpft lose an den Roman Der tapfere Bella Tschau an. Wieder treffen
wir auf die Heldin Helena Součková, jetzt bereits Schülerin der letzten
Klasse eines Gymnasiums. Ein Buch, das ähnlich wie Der tapfere Bella Tschau die
seltsam aschfarbige Zeit der Normalisierung unter dem Husák-Regime einfängt.
Einerseits ist es eine autobiographisch gefärbte persönliche Geschichte,
andererseits ein tragikomisches Mosaik der Zeit, die auch aus der zeitlichen
Distanz nichts von ihrer Ungeheuerlichkeit verloren hat. Das missgestaltete,
morsche Absurdistan der ČSSR tritt hier (eher nebenbei, dadurch jedoch umso
überzeugender) in all seiner Armseligkeit und Nacktheit auf.
Erscheinungsjahr: 2006
260 Seiten
Umschlaggestaltung: Lucie Lomová
Grafik: Bedřich Vémola
ISBN 80–7227–244–6
Čím se liší tato noc / Warum ist diese Nach so
anders?
Der Erzählband Warum ist diese Nach so anders? besteht aus neun balladesk
gefärbten Geschichten. Obwohl diese sich innerhalb einer ungewöhnlich langen
Zeitspanne abspielen – vom Anbruch unserer Zeitrechnung bis in die 1970er
Jahre – sind sie konsequent zu einem einzigen Ganzen zusammengefügt. Der
Umschlag wurde von Lucie Lomová gestaltet.
Was den Schlussstein des Gewölbes dieser Komposition von Erzählungen
darstellt, verrät das Eingangszitat aus Julius Zeyers Roman Jan Maria Plojhar:
„Ich kenne sie: sie ist nicht böse, doch Menschen von durchschnittlicher
Güte können äußerst hart sein.“
Erscheinungsjahr: 2004
108 Seiten
ISBN 80–7227–188–1
Hrdý Budžes / Der tapfere Bella Tschau
Zweite Ausgabe, diesmal bereits im Verlag Petrov erschienen, mit
Umschlaggestaltung von Lucie Lomová. Im selben Jahr wurde das Buch dramatisiert
und im Theater Příbram mit Barbora Hrzánová in der Hauptrolle
uraufgeführt.
Erscheinungsjahr: 2002
168 Seiten
2. Auflage (1. Auflage im Verlag Petrov)
ISBN 80–7227–132–6
Doktor Kott přemítá / Doktor Kott grübelt nach
Der Erzählband über die Unvollkommenheit zwischenmenschlicher Beziehungen
setzt sich aus zwölf eigenständigen Texten zusammen und erinnert auf diese
Weise an eine Art Jahreskalender vor allem zum Thema Partnerschaft, Ehe und
Familie. Douskovás erstes Buch, das vom Verlag Petrov herausgegeben wurde.
Umschlagillustration: Ivana Lomová
Erscheinungsjahr: 2002
174 Seiten
ISBN 80–7227–122–9
Někdo s nožem / Einer mit dem Messer
Die Geschichte einer jungen Frau, die in einer nach außen hin intakten Ehe eine
tiefe Krise durchlebt. Ihr Leben beschreibt sie in Tagebucheinträgen, die den
Aufzeichnungen eines Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel nicht unähnlich
sind.
Hynek, 2000
ISBN: 80–86202–71–2
Hrdý Budžes / Der tapfere Bella Tschau
Durch die ersten Jahre der Normalisierung unter dem Husák-Regime, wie sie sich
in einer Reihe komischer sowie weniger lustiger Begebenheiten und Situationen
auf das Leben von Kindern und Erwachsenen in einer Bezirksstadt auswirkt, führt
uns die Schülerin der zweiten Klasse der Grundschule von Ničín Helena
Součková.
Erstausgabe des Verlags Hynek. Die zweite Herausgabe des Buches erfolgte durch
den Verlag Petrov in Zusammenhang mit seiner Dramatisierung für das Theater
Příbram.
Hynek, 1998
ISBN: 80–86202–07–0
Goldstein píše dceři / Goldstein schreibt seiner
Tochter
Die subtile Geschichte einer väterlichen Liebe und Selbstliebe, die Ende der
1980er, Anfang der 1990er spielt, ist Douskovás Prosadebüt. In Briefen, die
ein alternder Filmregisseur aus Israel seiner erwachsenen Tochter nach Prag
schickt, werden schrittweise die entscheidenden Wendepunkte seines Lebens in
Tschechien wie in seiner neuen Heimat und die Widersprüchlichkeit einer
verspätet aufgenommenen, unerfüllten Beziehung freigelegt.
Die zweite Herausgabe erfolgte im Jahr 2006 durch den Verlag Petrov.
Melantrich, 1997
ISBN: 80–7023–254–4
Pražský zázrak / Das Prager Wunder
Gedichtband, herausgegeben gemeinsam mit L. Lomová, J. Reinisch und P.
Ulrych.
Verlag Pražská imaginace, März 1992
ISBN 80–7110–066–8
Illustrationen: Lucie Lomová
ERZÄHLBÄNDE UNTERSCHIEDLICHER AUTOREN
An folgenden Erzählbänden verschiedener Autoren – erschienen im Verlag
Listen – war Irena Dousková beteiligt:
Šťastné a veselé 2 / Glücklich und fröhlich 2
Fortsetzung eines Erzählbandes zum Thema Weihnachten (Autoren: Halina
Pawlovská, Petr Šabach, Irena Obermannová, Jaroslav Rudiš, Irena Dousková,
Ivan Kraus, Pavel Brycz, Jiří Hájíček, Daniela Fischerová und Věra
Nosková).
Ženy vidí za roh / Frauen sehen um die Ecke
Erzählungen über Beziehungen, Gefühle, Probleme und Träume von Frauen, von
denen jedoch nicht alle, wie man so sagt, um die Ecke sehen. Sie wehren sich
gegen Ehe- und Partnerschaftsstereotype, versuchen diese mit etwas Neuem zu
beleben, suchen – manchmal vergeblich – ihren Weg zum Glück (Autoren:
Ivan Klíma, Daniela Fischerová, Věra Nosková, Irena Dousková, Irena
Obermannová, Hana Andronikova, Halina Pawlowská).
Povídky o ženách / Erzählungen über Frauen
Erzählungen, deren Helden vor allem Frauen sind und deren Thema Liebe und
andere zwischenmenschliche Beziehungen ist (Autoren: Pawlovská, Viewegh,
Šabach, Dousková, Kantůrková, Pekárková, Fischerová, Nosková,
Hauserová, Walló, Koubská).
Možná mi porozumíš / Vielleicht verstehst du mich
Eine Sammlung von Erzählungen tschechischer Autoren zum Thema Konflikte
und – auf der anderen Seite – Verständigung zwischen Helden verschiedener
Generationen (Autoren: Petr Šabach, Michal Viewegh, Ivan Klíma, Viola
Fischerová, Miloš Urban, Irena Dousková, Marta Gärtnerová, Zdeněk Jizera
Vonásek, Eda Kriesová, Ivan Binar und Iva Pekárková).
Dámská jízda / Damenfahrt
Das Zusammensein und die gemeinsamen Erlebnisse von Frauen in unterschiedlicher
Gestalt ist das Thema eines weiteren Bandes der Edition Die tschechische
Erzählung (Autorinnen: Petra Soukupová, Irena Dousková, Hana Lasicová, Irena
Hejdová, Eva Hauserová, Bianca Bellová, Dora Čechová und Markéta
Pilátová).
Nakladatelství Listen
Erscheinungsjahr: 2015, 2008, 2009, 2007, 2004
ISBN: 978–80–86526–89–8, 978–80–86526–36–2,
978–80–86526–416, 978–80–86526–30–0, 80–86526–11–9
THEATER
Hrdý Budžes / Der tapfere Bella Tschau
Im Jahre 2003 entstand nach dem Roman Der tapfere Bella Tschau die
gleichnamige Inszenierung im Antonín Dvořák Theater Příbram. Der Text wurde
von der Autorin selbst dramatisiert, die Hauptrolle übernahm Bára Hrzánová,
Regie führte Jiří Schmied.
Bára Hrzánová erhielt für ihre ausgezeichnete Leistung den Thalia-Preis. Die
Vorstellung wurde ein derartiger Publikumserfolg, dass es bis heute in ganz
Tschechien aufgeführt wird; auch das bekannte Prager Theater Divadlo bez
zábradlí nahm es in sein Repertoire auf. Die Anzahl der Reprisen hat bereits
700 überschritten.
PRESSESTIMMEN:
Eine Erinnerung an eine vergangene Zeit, die die Autorin der Novelle und der
Dramatisierung Irena Dousková mit Ironie und Naivität aufgezeichnet hat. Auf
die Jahre der Normalisierung unter dem Husák-Regime blickt sie aus den Augen
eines 8-jährigen Mädchens zurück. Es ist ein zauberhafter kindlicher Blick,
bei dem selbst das Schrecklichste nicht mehr ganz so schlimm ist und der Glaube
noch nicht zu einem leeren Begriff geworden ist. Die bedrückende Atmosphäre
der Zeit wird aufgelockert, jedoch nicht simplifiziert. Erinnern Sie sich? Die
Bratislaver Lyra, die Spartakiaden, die JZD, die Jiskřičky, die Kaderurteile.
Die Inszenierung erinnert Sie an die ganze Absurdität des totalitären Systems.
Dem Stück fehlt es weder an Lachen noch an Weinen, sie spüren einen Stich in
der Seele und dabei haben Sie immer noch ein Lächeln auf den Lippen.
Die kleine Helena steht im Mittelpunkt des Stücks. Auf den Schultern von
Barbora Hrzánová liegt also die gesamte Last der Inszenierung. Die
Schauspielerin trägt sie jedoch mit der gleichen Leichtigkeit auf dem Rücken
wie ihre Schultasche. Ob in Gummistiefeln, im schief zugeknöpften Mantel oder
mit der Mütze auf dem Kopf – immer sieht sie wie ein polnischer Jude aus.
Ihre Komik beschränkt sich nicht auf schreckliche Grimassen. Ihr gelingt es,
die kindliche Arglosigkeit, Naivität und Weisheit zu spielen, mit der Kinder
instinktiv „den Nagel des Problems auf den Kopf treffen“. Es ist kein
infantiles Mädchen, wie es oft von Schauspielern dargestellt wird, wenn sie
versuchen ein Bild der kindlichen Seele einzufangen. Sie leugnet nicht die
Ironie und den distanzierten Blick eines Erwachsenen in sich.
(Kultura-příspěvek, Und bleib tapfer! Jana Dlouhá)
Die kleine Helena Součková in ihrer Darstellung durch Barbora Hrzanová ist
wirklich ein sehr dankbarer „Fratz“. Sie hat eine äußerst seltsame
Eigenschaft: sie unterscheidet sich von den anderen durch eine eigenwillige
Sicht auf die Welt. …
… Wie ist diese Helena der Barbora eigentlich? Hrzanová verleiht ihr den
physiognomisch unverfälschten Ausdruck eines intellektuellen Mädels. Ihr
gelingt es einfach vollkommen, das schnelle Tempo des Geplappers zu halten, in
einer dramatischen Pause innezuhalten, die Stimme zu einem großen Staunen zu
dehnen, jegliches Geheimnis ihres Lebens zu unterstreichen, bis zu einem
gefühlvollen Weinen zu gelangen, wenn sie Enttäuschungen ihres Lebens
durchlebt.
(Časopis-scéna.cz, Geheimnisse aus dem Leben eines achtjährigen
Mädchens – Barborá Hrzánová als dankbarer „Fratz“)
Regie J. Schmiedt
Premiere: 7. November 2002
Helena Součková: Barbora Hrzánová
Frau: Jarmila Vlčková / Marcela Šiková
Mann: Libor Jeník
Oněgin byl Rusák / Onegin war Russe
Im Jahre 2007 dramatisierte Irena Dousková in Zusammenarbeit mit dem Regisseur Jan Borna ihren Roman Onegin war Russe. Die Premiere erfolgte am 19 Januar 2008 im Prager Theater Divadle v Dlouhé. Im Unterschied zum kammerspielartigen Charakter von Der tapfere Bella Tschau (für drei Schauspieler) war an der Vorstellung des Onegin beinahe das gesamte Ensemble des Theaters beteiligt. Die Atmosphäre der frühen 1980er Jahre wird unter anderem von einer Reihe von Liedern dieser Zeit erzeugt, derer sich die Schauspieler und Musiker des Theaters mit Begeisterung und der für sie charakteristischen Meisterschaft annahmen.
Mitarbeit am Text des Theaterstücks: Jan Borna.
Regie: Jan Borna
Bühnenbild: Jaroslav Milfajt
Kostüme: Petra Goldflamová Štětinová
Musik: Milan Potoček
Regieassistenz und -mitarbeit: Jan Vondráček
Lenka Veliká – Helena Součková, Gymnasiastin
Ivana Lokajová – Jůlie Molová, Gymnasiastin
Jan Vondráček – Pavel Havlíček, Gymnasiast
Pavel Tesař – Jan Kaplan, Gymnasiast
Martin Matejka – Richard Schlesinger, Gymnasiast
Martin Veliký – Antoša, Gymnasiast
Magdalena Zimová – Páťa Jíchová, Gymnasiastin
Michaela Doležalová – Jiřina Krsická, Gymnasiastin, Frau Molová
Iva Klestilová – Kateřina Součková-Brďochová, Mutter von Helena
Součková
Vojtěch Vondráček – Pepíček, Bruder von Helena Součková
Arnošt Goldflam – Karel Freistein, Vater von Helena Součková
Marie Turková – Helena Freisteinová, Krulerová u. a.,
Tomáš Rejholec – Herr Mol
Jiří Wohanka – der australische Herr Mol, Fořt u. a.
Miroslav Hanuš – Bauch, Direktor des Gymnasiums, Mann im Café u. a.
Naďa Vicenová – Jeníčková, Klassenlehrerin, Frau auf der Brücke u.
a.
Klára Sedláčková-Oltová – Klepáčová, Geografielehrerin, Gábina,
Unauffällige u. a..
Ilona Svobodová – Frau Doktor Tökelyová, Zmalovaná u. a..
Čeněk Koliáš – Exhibitionist, Kellner u. a.
Halina Ničová – Krankenschwester
Pavel Tesař – Gustáv Husák
Helena Dvořáková – Klepáčová, Geografielehrerin, Gábina, Unauffällige
u. a.
Musiker: Kateřina Jirčíková, Pavel Lipták, Milan Potoček, Tomáš
Rejholec
Darda / Schlag
Im Prager Theater Divadle na Jezerce hatte am 12. 12. 2012 das Stück Schlag
seine Premiere – die Adaptierung des letzten Teils der Romantrilogie über
Helena Součková. Inszeniert wurde die Tragikomödoe von Arnošt Goldflam, in
der Hauptrolle trat abermals Bára Hrzánová auf. Weiter spielten Lenka
Vlasáková, Miluše Šplechtová, Petr Vacek, Jan Hrušínský und andere.
Die Zeit hat am eisernen Vorhang den eisernen Vorhang heruntergerissen, und so
ist aus der Schülerin und in der Realität des Husák-Regimes aufgewachsenen
Gymnasiastin eine verheiratete Frau und Mutter von zwei Kindern geworden. Obwohl
sich die Kulissen der Zeit gewandelt haben, sieht es merkwürdigerweise nicht
danach aus, dass die Welt eine bessere geworden ist. An die Stelle der Krise der
Normalisierung ist nun die Midlife-Crisis getreten. Und wenn schon Krise, dann
eine richtige: so folgt ein Schicksalsschlag nach dem anderen.
Regie: Arnošt Goldflam
Bühnenbild und Kostüme: Petra Goldflamová Štětinová
Musik: Milan Potoček
Produktion: Jan Hrušínský
Choreographische Beratung: Klára Maříková
Zeichnung auf den Plakaten: Lucie Lomová
Regieassistenz: Veronika Zemánková
Sounddesign: Ladislav Greiner
Barbora Hrzánová – Helena Součková
Lenka Vlasáková – Jůlie Molová
Petr Vacek – Jindřich Darda
Miluše Šplechtová – Ljubica Kozel
Jan Hrušínský – Karel Freistein
Rostislav Novák – Pepa Nus
Martin Sitta – Tonda
Michal Kem – Kuk
FILM UND FERNSEHEN
Micimutr / Miezemutter
Ein Märchen über eine Prinzessin, einen Drachen und Wunder, die geschehen,
wenn man den ersten Schritt tut. Seine Premiere im Tschechischen Fernsehen hatte
es am Heiligen Abend 2011 und wurde von 2,26 Millionen Leuten gesehen, was die
Hälfte derjenigen ausmacht, die zu dieser Zeit vor den Bildschirmen saßen.
Darsteller: Marika Šoposká, Ondřej Novák, Vojtěch Dyk, Libuše
Šafránková, Martin Dejdar, Jaroslava Kretschmerová, Jiří Bartoška und
andere. Regie: Vít Karas. Idee und Drehbuch: Irena Dousková,
Dramaturgie: Barbara Johnsonová. Musik: Ondřej Brousek,
Kostüme: Jarmila Konečná, Szenenbild: Martin Kurel,
Pruduktionsleitung (Tschechisches Fernsehen): Ivana Neumannová.
Kamera: Pavel Berkovič. Dramaturgische Leitung: Kateřina
Krejčí. Chefproduzenten: Magdalena Sedláková, Viktor Průša.
O pokladech / Über Schätze
Ein Märchen über Schätze, die verborgen sind, und Menschen, die sie suchen
und dabei vergessen, dass der größte Schatz in ihrem Herzen verborgen liegt.
Seine Premiere im Tschechischen Fernsehen hatte es am 30. Dezember 2012. Drei
Wächter eines unterirdischen Schatzes spielen mit drei menschlichen
Schicksalen: mit dem eifersüchtigen Jakub, der gutherzigen Barborka und dem
habgierigen Bořivoj. Diese drei brechen auf um einen Schatz zu suchen, dabei
wird es nicht nur um diesen gehen, sondern vor allem um Liebe und sogar ums
Leben. Und auch wenn ihnen die seltsamen Wächter den Weg erheblich erschweren,
geht am Ende alles gut aus – wie in jedem Märchen.
Darsteller: Jana Pidrmanová, David Švehlík, Adam Kraus, Vojtěch
Dyk, Markéta Frösslová, Josef Polášek, Pavel Liška, Jan Budař, Petr
Varga, Tomáš Töpfer, Karel Heřmánek, Jan Vondráček, Jiří Ployhar ml.,
Otmar Brancuzský, Jiří Novotný, Karel Heřmánek ml. und andere.
Regie: Vít Karas. Idee und Drehbuch: Irena Dousková.
Dramaturgie: Barbara Johnsonová. Musik: Ondřej Brousek, Karel
Holas. Kostüme: Jarmila Konečná. Szenenbild: Martin Kurel.
Produktion: Ivana Ivana Jaroschy. *Kamera: Pavel Berkovič,
David Cysař.
REZENSIONEN
Der Bärentanz ist für Hašek kein Bärendienst
Jana Benediktová, ČT 24, 8. 4. 2014
„Da müsste ich ein anderer Honigscheißer sein, dass sie mir einen Platz in
einem Lesebuch geben“, sagt Jaroslav Hašek im Roman „Bärentanz“. Doch er
bekam seinen Platz in den Schulbüchern, obwohl er kein Honigscheißer war; auf
keinen Fall sieht die Verfasserin dieses schmucken Wörtchens und des Romans
Irena Dousková ihn als solchen. Sie entledigt ihn sogar – zumindest
teilweise – des etwas platten Etiketts eines Gasthauskumpanen und boshaften
Spaßmachers.
Dousková hat aus dem vierzigjährigen Leben Hašeks die letzten zwei Jahre
ausgewählt, als er ins Dorf Lipnice nad Sázavou umzog und als die Herausgabe
der „Abenteuer des braven Soldaten Schwejk während des Weltkrieges“ begann,
eines Werks, das die Sicht auf Hašek ein für allemal bestimmen sollte.
Indirekt konfrontiert sie so den Schriftsteller mit seiner schicksalshaften
Figur.
Hašek ist auch im Roman ein ewiger Erzähler (ebenso wie Schwejk – eine
seiner Histörchen lässt Dousková sogar mit Schwejks typischer Formulierung
„Ich hab' da einen gekannt…“ beginnen), und zwar von humorvollen, wenn
auch bitteren Geschichten, die ein Gleichnis des menschlichen (tschechischen?)
Wesens darstellen. Es überwiegen Begebenheiten mit verschiedensten Tierarten
(z.B. die Geschichte über ein Schlachtfest und das Schwein als besten Freund
des Menschen oder eine über den „Kleinen Böhmisch-mährischen
Ungeladenen“), wohl als Verweis auf Hašeks Tätigkeit in der Redaktion der
Zeitschrift „Welt der Tiere“, während der er sich die verschiedensten
Geschöpfe unverfroren einfach ausdachte.
Auch Douskovás Roman ist keineswegs eine glaubwürdige Biographie. In das
belletristische Erzählen streut die Autorin zwar scheinbar authentische
Briefwechsel und Artikel aus Zeitungen der damaligen Zeit ein, doch außer
eingefleischten Hašek-Forschern kann sich wohl niemand ganz sicher sein, welche
Texte, Figuren und Ereignisse „wahr“ und welche das Werk ihrer Phantasie
sind. Die Autorin selbst will das nicht verraten und meint, darum gehe es
überhaupt nicht. Und darum geht es tatsächlich auch nicht.
Auch wenn der Verleger (Druhé město) die Leserschaft mit einem Roman über
Jaroslav Hašek gewinnen will, so ist Hašek darin in Wirklichkeit nur eine
Figur neben anderen; allerdings spiegeln sich in den anderen Figuren Ausschnitte
seines vorherigen Lebens wider, genauer gesagt stellt jede von ihnen ein Stück
seiner „gespaltenen“ Persönlichkeit dar (ob diese Spaltung in Hašeks
wirklichem Leben durch seine eigene Stilisierung oder durch die Interpretation
anderer verschuldet war, sei dahingestellt). So haben wir hier Toni; er ersetzt
den Sohn des fürs familiäre Leben ungeeigneten Schriftstellers aus erster Ehe,
den dieser nicht zu Gesicht bekommt. Oder den Bolschewiken Ferda,
„Fortschritt“ genannt, den Hašek nicht ausstehen kann, weil er ihn zu sehr
an seine eigene Tätigkeit im bolschewistischen Russland erinnert.
Dann haben wir hier den (tatsächlich existierenden) Forstmeister Böhm und den
Gastwirt Bondy, der fähig ist, es Hašek mit gleicher Münze heimzuzahlen und
dessen Geschichte im Prolog und im Epilog den Roman durch die Andeutung (wieder
à la Schwejk?) umrahmt, dass die Komödie nur eine andere Form der Tragödie
sein kann. Auf eine Seelenverwandtschaft in Sachen Wahrnehmung von Absurdität
als einer Art Mittel, das Wesentliche auszudrücken, verweist ein Brief an den
Vater (!) von Franz Kafka. Und durch die flüchtige Erwähnung von Mácha und
Němcová reiht die Autorin Hašek in die Gesellschaft zu Lebzeiten häufig
wenig verstandener markanter literarischer Persönlichkeiten ein.
Dousková selbst beweist in ihrer Prosa, dass sie Sinn für bitterkomische
Stimmungen hat. Das war bereits in ihrer Trilogie über die sozialistische
Kindheit und Jugend der Helena Součková zu erkennen („Der tapfere Bella
Tschau“, „Onegin war Russe“, „Schlag“), auch wenn dieses Werk aus
völlig anderem Holz geschnitzt ist. Ähnlich ist jedoch die formale Gliederung
in nicht allzu lange einzelne Geschichten, die von einer Pointe abgeschlossen
werden (auf diese Weise wird – vielleicht unabsichtlich – nur Hašeks
Nachsinnen über Anekdoten in einer von ihnen aufgenommen). Im „Bärentanz“
könnten sie vielleicht etwas weniger zersplittert gestaltet sein (so wie auch
die unübersetzten russischen und deutschen Passagen zu Unverständnis beitragen
können), doch auch so zeichnen sie ein ziemlich überzeugendes Bild von einem
tschechoslowakischen Dörfchen in den beginnenden 1920er Jahren, das wenig mit
den Ansichtskarten von Josef Lada gemein hat.
Hašek, der mit Krankheit und den Folgen seines lebenslangen Alkoholismus zu
kämpfen hat, schreibt im von Prag vergessenen Lipnice den Schwejk und nebenbei
Possen, die von einer Laientheatergruppe bei Maskenbällen aufgeführt werden.
Um ihn herum spannen sich tschechisch-deutsch-jüdische Beziehungen, heidnischer
Aberglauben besteht neben Katholikentum, seine ewig missmutige Frau Šura
äußert auf ihre Art sowohl ihre Zuneigung als auch ihr Missfallen und er
drückt mit zuweilen unerträglichem Humor sowohl Freundschaft als auch
Einsamkeit aus.
In den lustigen böhmischen Zeiten tanzte er mit einem Bärenfell bekleidet im
Prager Kaffeehaus Montmarte mit Emča Revoluce, dann verwickelte er sich in den
revolutionären Wirbeln des russischen Bären und jetzt glotzen ihn einige von
oben herab an wie eine Jahrmarktsattraktion, einen Tanzbären. Dazu kommt,
dass er sich selbst nicht immer wohl in seiner Haut fühlt. „Lassen wir uns
nicht durch das Lachen täuschen!“ schreibt der Schulleiter von Lipnice in
einem Brief an den Ausschuss zur Erhebung der Literatur und des
tschechoslowakischen Schrifttums, in dem er Fürsprache für Hašek einlegt.
„Halten Sie sich von solchen Hašeks fern“ bekommt er als Antwort. Die
Leser, ob sie nun für Hašek Verständnis haben oder nicht, sollten sich nicht
an diesen Rat halten.
Das Jahr des Endes
Simona Pinnerová, HOST, 2014, Jahrgang XXX, Nr. 8, S. 86
Roman über die letzten Monate im Leben Jaroslav Hašeks und viele Dinge
rundherum
Ob Sie nun zu den Anhängern von Hašeks „Geschicken des braven Soldaten
Schwejk während des Weltkrieges“ oder zu ihren hartnäckigen Gegnern
gehören, mussten Sie zweifellos auf irgendeine Weise mit dem meist übersetzten
tschechischen Buch klarkommen. Außer den Deutungen des Schwejk schafft es
Jaroslav Hašek bis heute, auch Interesse für seine eigenen Geschicke zu wecken
und zwar nicht nur während des Weltkriegs. Seinem letzten Lebensjahr hat Irena
Dousková ihren neuen Roman gewidmet. Die Autorin, die insbesondere durch ihre
Trilogie „Der tapfere Bella Tschau“ (2002), „Onegin war Russe“ (2006)
und „Schlag“ (2011) berühmt geworden ist, webt ihre Fiktion um die letzten
Tage des eigenwilligen Schriftstellers.
Das letzte, was wir vom Roman erwarten könnten, ist das traditionelle Genre
einer Biographie. Dousková erkundet zwar Hašeks Ableben in Lipnice nad
Sázavou, doch fängt sie vor allem den schrittweisen physischen und später
auch psychischen Verfall eines intellektuellen Bohemiens vor dem Hintergrund des
Jahres 1922 ein. Die stickige Atmosphäre des nahenden Faschismus deutet die
Autorin lediglich auf gewitzte Weise an. Dazu benutzt sie Zeitungsausschnitte
der damaligen Zeit oder persönliche Briefe. Hašeks nahendes Ende wird mit
geradezu expressionistischen Mitteln dargestellt. In der eiskalten
Winterlandschaft ist Hašek, der Wanderungen durch die Natur ähnlich wie der im
Text erwähnte Mácha über alles liebt, in seiner Krankheit nicht einmal mehr
fähig, das nahe Gasthaus aufzusuchen. Unverständnis und Ablehnung allgemeiner
politischer sowie kultureller Ansichten weisen eine naturalistische Parallele
zum Hinscheiden des Menschen auf. Als ob Hašek, ein Individualist durch und
durch, beinahe lebendig begraben würde. Als ob seine lebenslange Provokation im
literarischen wie auch im persönlichen Leben ihren Tribut forderte. Auf die
Dorfbewohner wirkt Hašek wie Schwejk selbst: eine lustige Karikatur, von der
die meisten Leute glauben, er sei verrückt, und den nur einige wenige
aufgeklärte Einheimische ganz im Gegenteil schätzen. Für ein paar
unvoreingenommene Figuren wird er sogar zum Vorbild. Obwohl er nichts auf die
Meinungen anderer gibt, leidet er Zeit seines Lebens darunter, dass er von
anderen Schriftstellern und Kritikern nicht anerkannt wird.
Dazu ist Hašeks Lebensende geradezu ein Vorwand für das Nachsinnen über den
Glauben. Dieser findet seinen Weg in beinahe jeden Handlungsstrang, dazu sind
die unterschiedlichen Konfessionen einzelner Figuren ein Impuls für
entsprechende Gedankengänge: der katholische Pfarrer, die orthodoxe Šura oder
der Jude Bondy. Dousková bemüht sich vor allem darum, ihren Charakter und ihre
Haltung zum Glauben selbst aufzudecken. Auf sehr sensible Weise enthüllt sie
die „weltlichen“ Gedanken des Pfarrers, der täglich nicht nur mit seinen
Schäfchen, sondern vor allem mit sich selbst zu kämpfen hat. Er tut Buße,
ohne dass er eine reale Sünde begangen hat. Dank der aufgezeigten Schwächen
wird hier sein menschliches Gesicht enthüllt. Auch der ursprüngliche Anarchist
Hašek wird hier als tief Gläubiger geschildert, ungeachtet seines Lebensstils,
der von Alkoholismus, Bigamie, endlosem Lästern und weiteren Sünden geprägt
war. Obwohl er nicht nach den zehn Geboten lebt und zu den Dogmen eine andere
Meinung hat als der Pfarrer, respektieren die beiden einander bis hin zur Grenze
einer Freundschaft.
Abgesehen vom Thema fesselt der „Bärentanz“ den Leser auch durch den
ungewöhnlichen Aufbau des Textes. Im Unterschied zur erwähnten Trilogie
benutzt hier Dousková die Er-Form und lässt verschiedene Erzähler zu Wort
kommen, die Bestandteil von Hašeks Leben sind. Verschiedenartige Sichtweisen
auf einzelne Ereignisse wechseln einander von einem Kapitel zum nächsten ab und
folgen einer mehr oder weniger chronologischen Reihenfolge. Auch wenn sich der
Leser am Beginn in den Zusammenhängen der Handlung schlechter orientiert, so
kommt ihm nie das Gesamtbild abhanden. Ganz im Gegenteil trifft die Autorin
durch eine andere Sicht auf die Geschichte am besten die Kompliziertheit des
Wesens Jaroslav Hašeks. Auf der erzählerischen Ebene offenbart sie seine
festen Prinzipien und Meinungen, obwohl er auf die meisten Figuren durch sein
Auftreten lediglich wie ein ungeschliffener Rüpel wirkt. Wie sehr er auch mit
seinem Zynismus und seiner Rebellion seine Nächsten zu verletzen wusste, so
versuchte er lediglich in ihnen irgendeine Reflexion zu provozieren. Doch
widersteht Dousková der Versuchung, ein leicht kitschiges Bild von Hašek als
einem unverstandenen, am Rande stehenden Genius zu zeichnen.
Durch das Zusammentragen einzelner Indizien entsteht das psychologisch
ausgearbeitete Porträt eines komplizierten und unglücklichen Mannes. Das Spiel
der Autorin, das sie dem Leser durch das schrittweise Enthüllen von Hašeks
Charakter aus der sicheren Distanz der dritten Person bietet, funktioniert
einwandfrei.
STERBEN AUF DER STURMHÖHE
Bruno Solařík, Tvar, 14. 5. 2015
Man könnte von einem Buch marginaler Beobachtungen vor dem Hintergrund des kaum
dokumentierten Endes des Schriftstellers Jaroslav Hašeks zwischen dem August
1921 und dem Januar 1923 sprechen. Dabei nutzt Irena Dousková die wenigen
bekannten Daten über das Finale des Prager Enfant Terrible in Lipnice so wenig
wie möglich, als wenn sie sich davon überzeugen wollte, ob sich die Geschichte
nahezu aus dem Nichts hervorzaubern lässt. Selbst die Arbeit am Welt-Bestseller
namens Schwejk wird nur angedeutet (zum Beispiel durch die erfundene Erinnerung
Hašeks an den Großvater, der ihm als Kind über die Schlacht von Solferino
vorsang), als ob es sich hierbei nur um eine Arbeit am Rande handelte, die vom
dilettantischen Zusammenstückeln einer Posse für das örtliche Laientheater
beiseite gedrängt wird, und dies vor dem Hintergrund der Alltagsbanalität
einer weltabgeschiedenen Kleinstadt. Die Fakten über Hašeks Leben bilden nicht
das Gerüst sondern lediglich die authentifizierende Patina eines Bildes, das
sich aus fiktiven Erinnerungen, Träumen und Begebenheiten zusammensetzt. Weder
bekanntere Persönlichkeiten (Panuška, Sauer, Longen, Longenová, Kuděj) noch
Figuren aus Lipnice, die in pikanten Histörchen von Zeitzeugen ihre Rolle
spielen (zum Beispiel der Lehrer Mareš, der sich laut Longen von Hašek zum
Beitritt zur Kommunistischen Partei verleiten ließ und diesen nach dem
Ausnüchtern auf Knien um die Rückgabe der Anmeldung bettelte), sind im Roman
zu finden; dagegen sind es erdachte Figuren wie der Pfarrer, der Kirchendiener,
der Maskenball-Unernehmer Mašek, der Schulleiter (der seiner Frau zu
Weihnachten den Roman „Sturmhöhe“ kauft), der Lumpenproletarier und
Taugenichts Pokrok (zu Deutsch Fortschritt, der Hašek ein Dorn im Auge ist,
weil er durch sein Falottentum dessen Glauben an den gewöhnlichen Menschen
zunichtemacht) oder der Bursche und Hašeks Freund Toni (der sich am Anfang
fürchtet, „von einem Bolschewiken verzaubert“ worden zu sein), die sich in
Lipnice mit dem realen Gastwirt Invald, dem Förster Böhm, dem jüdischen
Spirituosenhersteller Bondy und weiteren einheimischen Figuren die Klinke in
die Hand geben, die aus Hašeks Briefwechseln und durch Zeitzeugen bekannt sind.
Dabei ist es bezeichnend, dass die realen und imaginären Helden die Handlung
auf angenehme Weise durch die unspektakulären Akte einer stummen Groteske
beleben: „… Bondy stieß auf dem Platz auf Böhm. Beinahe wörtlich. Hubert
[Böhm] bückte sich gerade und schnürte sich vor seinem Haus die Schuhe,
während jener sich rückwärts vom Ausschank entfernte und sich dabei lebhaft
mit einem Kunden unterhielt, der in der Tür stand. Zwei Schritte mehr, und es
wäre zu einem Zusammenstoß gekommen. So grüßten sie sich nur und blinzelten
dabei, weil – ein fertiges Wunder – gerade die Sonne hinter den Wolken
hervorkam.“ Bei einem Text, der sich gezielt von den Realien abwendet, um die
Atmosphäre eines verfrühten Herbstes eines einzigartigen Lebens einzufangen,
gibt es keinen Grund, diese legitime Abwendung zu kritisieren, dafür jedoch die
Elemente, die das erwünschte Einfangen der Atmosphäre stören. In diesem Sinne
ist es strittig, ob es sich gelohnt hat, sozusagen erst die Geschichte aus
Büchern aus dem Fenster zu werfen, um sie dann wieder durch die Tür
zurückzubringen, und (mithilfe realer Fragmente aus der damaligen Presse und
des inneren Kampfes des Pfarrers) äußerlich einen politischen Bogen des
Übergangs von der österreichisch-ungarischen zur republikanischen Ordnung zu
spannen; noch dazu wissen wir, dass es – als einer der ersten Intellektuellen
jener Zeit – gerade Hašek war, der in dem gegebenen Übergang keinen
Unterschied sah: so verfasste er nicht nur als Bürger in Zeitungen kritische
Hinweise auf die Namen österreichischer Generäle mit dem Blut tschechischer
Menschen an den Händen, die seelenruhig ihre Posten im
Verteidigungsministerium der neuen Republik einnahmen, sondern betonte auch
als Autor gleich im Vorwort zum Schwejk die Austauschbarkeit der beiden Regimes.
Nicht besonders glaubwürdig erscheint dann das gewissermaßen eingebaute
Material eines Theaterstreichs „Hašeks“, der sich als Ganzes gegen den Kult
des Präsidenten Masaryk wendet. Aus den glaubwürdigen Erinnerungen von Invald
wissen wir nämlich von einem Streit, in dem Schwejk in Lipnice dem örtlichen
Organisten die Beleidigung von Akteuren der russischen Revolution mit den Worten
vorwirft: „Hast du jemals gehört, dass ich Kramář oder Rašín beleidigt
hätte?“ In Wirklichkeit ist zudem aus Lipnice Hašeks Handschrift eines
gereimten Pamphlets erhalten geblieben (als Motiv auch in den Schwejk
eingebaut), in dem es nicht um die politischen Ereignissen der Zeit sondern um
zwei geschiedene Frauen aus Roztoky geht, die einen alten Drehorgelspieler
vergewaltigt haben… Kurz gesagt ist aus diesen Indizien ersichtlich, dass
leidenschaftliches Politisieren auf dem Mikro-Grundriss der
Tschechoslowakischen Republik für den Absolventen einer reizvollen Reise bis
an die chinesische Grenze allem Anschein nach kleinlich und uninteressant
gewesen wäre.
Auf der anderen Seite ist es Dousková gelungen, einen zentralen sozialen Moment
zu erfassen, dem Hašek auch in Lipnice treu geblieben ist, nämlich seine tiefe
Abscheu gegen den Krieg als höchsten Ausdruck eines entmenschlichten
Mechanismus gesellschaftlicher Absurdität. Der Junge Jaroslav, der einen
„…Trauerzug von Ameisen“ beobachtet, der sich am Ort, wo eine Schnecke
krepiert ist, „von einer geordneten Formation in eine respektlose Fresserei
verwandelte“, äußert dann beim Hören eines Liedes, in dem von „Blut bis
zu den Knien und Fleischhaufen“ die Rede ist: „Das möchte ich nicht
erleben.“ Und er erlebt es. Douskovás Beschreibung einer Schlacht, deren
bombardierte Front durch einen Friedhof führt, könnte im Hašekschen Sinne
treffender nicht sein: „Die Toten springen wortwörtlich aus den Gräbern.
[…] Die Leichen in allen Stadien des Zerfalls fangen an, sich mit den völlig
neuen zu vermischen. […] Ein halb angefaulter Knochen fällt direkt neben ihm
zu Boden. Im selben Moment fällt auch Procházka. […] Als ob die
Knochenfinger des Glücklichen, der ein paar Monate, bevor die Front hierher
kam, eines natürlichen Todes gestorben war, auf ihn zeigen würden.“
Mit ähnlichen Lesersympathien lassen sich die Neben-Fabeln beurteilen, wie etwa
die menschliche Geschichte des Pfarrers (und künftigen Folterers), dem
auffällt, dass der Stil seiner Wirtschafterin hinkt, „als ob diesen Brief ein
Brett oder eine Stalltür geschrieben hätte“; das macht ihm zwar nichts aus,
doch fürchtet er, dass er mit ihr in völliger Betrunkenheit ein Kind gezeugt
hat, ohne sich daran erinnern zu können. Sinn macht auch die Geschichte, die
von der jüdischen Herkunft eines (realen) Freundes von Hašek, des
Spirituosenherstellers Bondy inspiriert ist (aus dessen erdachten Briefwechsel
mit seinem Bruder hervorgeht, dass dieser der Vater von Franz Kafka ist). Die
malerische Geschichte eines Reliquien-Splitters vom Scheiterhaufen Jan Hus', mit
dessen Abtransport nach Amerika gewissermassen in Böhmen etwas zu Ende geht,
dient hier als Analogie von Momenten der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts
und führt hin zu einem furchterregenden Spiegel einer für Hašek nicht mehr
ersichtlichen Zukunft, in der sich Bondy auf dem Weg zum Sammelplatz für den
Abtransport vorzustellen vermag, „was wohl Jarda dazu sagen würde“,
während der Kirchendiener, für den Božena Němcová eine Dirne ist, „etwas
über die jüdischen Säue bemerkte.“
In menschlicher Hinsicht ist Hašek im „Bärentanz“ mit seismologischer
Sensibilität gezeichnet. Der emotionale Hafen umfasst hier die importierte
Šura („Sie mag ihn. Er mag es, dass sie ihn mag.“), die bei Dousková –
in Übereinstimmung mit den Annahmen des Hašek-Forschers Pavel Gan – an
Jaroslav heimlich heidnische Zaubertricks anwendet, um dadurch die Beziehung zu
Hašeks erster Frau Jarmila zu beeinflussen. Dieser Hafen ist von der Figur Toni
von den Nachbarn überdacht, der dem fabulierten Hašek zum einen den verlorenen
Sohn Ríša ersetzt und zum anderen die eigene Kindheit näher bringt. Die
belegte Feststellung, dass Hašek „immer jedem vergeben hat“, vermählt sich
mit der schicksalhaften Melancholie zu einer Zeit, als es wohl keine Gelegenheit
mehr geben wird, weiterhin anderen zu verzeihen: „ Er dachte daran, dass er
halb Europa und ein Stück Asien durchwandert hat und dass er es jetzt nicht
einmal mehr nach Okrouhlice schafft.“
Den Fall des bescheidenen großen Schriftstellers kündigt Doušková mit der
magischen Symbolik einer Hoffnung an, die – zu guter Letzt – ebenfalls
stirbt: auf dem verwahrlosten Hof von Pokrok bildet hier ein seltsame
Beschreibung die Symbolik: „Mitten im Verderben eine Art neben der anderen,
der Enterich neben dem roten Kater, nebeneinander und allem Anschein nach
zusammen, unbewegt und ernst durch den Lattenzaun in die Ferne blickend.“
Nebeneinander und allem Anschein nach zusammen. Für Hašek bedeutet dies laut
Dousková eines: „Wie viel uns davon für immer verborgen bleibt, sofern wir
nicht genügend in Betracht ziehen, was offenkundig ist.“
Eine treffende Charakterisierung von Hašeks spirituellem Materialismus,
verkörpert im Schwejk – als Šura ihm in der Neujahrskrise auf die drei mal
wiederholte Frage antwortet, dass der Enterich dort nicht mehr sei, dass dort
nur mehr der Kater sei, „drehte er sich zur Wand und sagte bis zum Abend kein
Wort mehr.“ Es folgt nur noch das Ende des Spaßes, ein für alle mal.
Den wohl treffendsten Ausdruck von allem zusammen – von Hašek, Schwejk und
dem Ende, das kein Ende hat – lässt sich bei Dousková in der Randfigur der
vergesslichen Großmutter von Toni finden, die ihrem Enkel erzählt: „Und dann
ist sie weiter nach Cerhovice gegangen, aber da ist sie vor dem Gendarmen
erschrocken und hat sich hinter dem Birnbaum versteckt und ist dann aufs
Geratewohl den Hügel runter gerannt, um ihm nicht zu begegnen. Und irgendwie
ist sie völlig durcheinander gekommen und hat überhaupt nicht mehr gewusst,
kurz und gut, sie konnte nicht mehr… Toni, ich erzähl dir das morgen zu
Ende.“
In diesem Buch marginaler Beobachtungen rund um ein Sterben ist der Autorin also
das Wesentliche gelungen: Hašeks eigenes Gespür für die Poesie und den Witz
gewöhnlichster Menschlichkeit zu betonen, fern von äußerlichen
Ehrenbezeugungen, auf der Sturmhöhe.
Unter dem Titel „Von weißen Elefanten“ erscheinen Erzählungen
von Irena Dousková
Radim Kopáč, PRÁVO, Dienstag 4. November 2008
Nach dem Roman „Onegin war Russe“ stellt sich die Prosaisten Irena
Dousková als Autorin von Erzählungen vor. Acht haben im Werk „Von weißen
Elefanten“ ihren Platz gefunden und sind hier durch einen Abzählreim
verbunden: „Glück, Unglück, Liebe, Ehe, Jungfrau, Wiege, Gräfin, Tod“. Im
Erzählband „Warum ist diese Nacht so anders?“ (2004) arbeitete Dousková
mit Allegorie, jetzt bewegt sie sich im Rahmen von Quasi-Memoiren.
Ihre Geschichten hat sie zwischen den Kulissen eines namenlosen Dorfes
südwestlich von Prag Mitte der 1970er Jahre platziert und ihre Akteure in ein
festes Beziehungsnetz eingewoben: von Liebe und Hass, Mitgefühl und
Überheblichkeit, Furcht oder Bewunderung.
Die Helden sind gewöhnlich, alltäglich – doch keineswegs farblos. Jeder
erfüllt die These von einem einzigartigen Schicksal, in dem sich ein Stück
großer Geschichte widerspiegelt. Ihre Geschichten haben überraschend wenig
Handlung, umso mehr und dringlicher entfalten sie jedoch eine Atmosphäre,
führen sie ein Gefühl herbei, das die Autorin als „Duft der Zeit“
bezeichnet.
Eben dieser leichte Duft, der seinen Weg durch die stickigen und verschlafenen
Verfallserscheinungen der Normalisierung findet, bringt in die wehmütigen
balladenhaften Texte eine Chance. Die Chance auf Verzückung, auf die Bewahrung
persönlicher Freiheit. Ob sie nun in Gestalt des Glaubens, eines direkten und
starken Gefühls, der Erscheinung eines längst verstorbenen Mädchens oder des
titelgebenden Mythus von weißen Elefanten daherkommt.
Douskovás neues Buch ist wichtig: es bietet die genaue Anamnese einer
abscheulichen Zeit, jedoch ohne vordergründigen Zorn oder Hass, eher mit einem
mitleidigen Lächeln.
Irena Dousková: Goldstein schreibt seiner Tochter
Radim Kopáč, PRÁVO, 19.2.2007
Nach zehn Jahren erscheint von Neuem das Prosadebüt von Irena Dousková
(1964) – ein Roman in Briefen mit dem Titel „Goldstein schreibt seiner
Tochter“. Das erste Mal erschien er im zu Ende gehenden Verlag Melantrich, das
zweite Mal im gerade anlaufenden Verlag Druhé město.
Während die berühmten Romane „Der tapfere Bella-Tschau“ und „Onegin war
Russe“, ggf. auch der Erzählband „Doktor Kott grübelt nach“ zur
humoristischen Ebene des Werks Irena Douskovás gehören, bilden die Bücher
„Warum ist diese Nacht so anders?“, „Einer mit dem Messer“ und eben der
„Goldstein“ den Gegenpol dazu: sie stellen die Autorin in ihrer
existenziellen, eher tragischen als durch Humor belasteten Ausdrucksform vor.
Die Akteure dieses Prosawerkes sind zwei: der im israelischen Exil lebende
Vater, Filmregisseur, „müde, ein ‚Fleischberg‘, berühmt, in gewisser
Weise sehr allein, sozusagen ohne Ambition“, und die in Tschechien
aufwachsende, etwa fünfundzwanzigjährige Tochter, neugierig, wenn auch
gefühlsmäßig und auch gedanklich furchtsam in sich zurückgezogen. Die Briefe
(und später Telefonate und sogar persönlichen Treffen) fliegen jedoch nur in
eine Richtung: von Tel Aviv nach Prag, und dies vor dem Hintergrund wesentlicher
gesellschaftlicher Veränderungen, eingerahmt von den Jahren 1988 bis 1991.
Die väterlichen epistolarischen Monologe, die schrittweise nicht nur die Motive
seines Abgangs von der Erde sondern auch die düstere Familiengeschichte
freilegen, graduieren auf suggestive Weise: den ersten Berührungen folgen
emotionelle Höhenflüge, als sich die Beziehung zwischen Goldstein und seiner
Tochter geradezu auf die Ebene einer Liebesbeziehung bewegt – wenn auch
erneut nur in eine Richtung: der in Einsamkeit, Klagen und Selbstmitleid
gefangene Mann begreift die neu aufgebaute Bindung an die entfernte Frau als
seine letzte mögliche Rettung. Als er feststellt, dass seine Tochter keinerlei
Interesse an einer derartigen Zuneigung zeigt, kühlt er auf einen Schlag ab und
versinkt in absurden Gewissensbissen, Vorwürfen und noch größerer Trauer.
Die Fähigkeiten zur Stilisierung, die Dousková im „tapferen Bella-Tschau“
oder in „Onegin war Russe“ unter Beweis stellte, zeigen sich bereits in
ihrem Erstling; die Sensibilität, mit dem die Autorin die Geschichte
aufbereitet hat, ist jedoch sicherlich dadurch gestützt, dass es sich hier um
ihre eigene Geschichte handelt, beziehungsweise dass Goldstein seiner Tochter
tatsächlich geschrieben hat und dass sie, nach Jahren, die Notwendigkeit einer
Selbsttherapie empfunden hat. Und zwar eine Selbsttherapie bzw. ein
autobiographisches Bekenntnis, das literarisch äußerst souverän gestaltet
ist: „Goldstein schreibt seiner Tochter“ ist in erster Linie ein
ausgezeichneter Roman.